Großfeuer

Auf der Wache war es still. Alle Kollegen hatten sich in ihre Ruheräume zurückgezogen, als um halb zwei des Nachts die Ruhe ferngesteuert durch die Leitstelle beendet wurde. Das Licht flammte auf, aus den Lautsprechern erklang die Meldung: „Lagerhallenbrand im Hafen, bei Firma ‚Katzohl-Plast‘!“ Sofort wusste ich, um welchen Betrieb es sich handelte: Vor einigen Jahren war dort schon einmal eine Halle abgebrannt. Die dort gelagerten Industrie- Kunststoffprodukte waren kaum zu löschen und erforderten eine wahre Materialschlacht. Ich fürchtete, die noch junge Nacht war für uns vorbei.

Auf dem Weg zum Dienst- Löschgerät erinnerte ich auch die übrigen Kollegen an den vergangenen Einsatz: „Wisst ihr noch, was das für eine Schaumparty war? Hüfthoch schwappte der Mist!“ Kollege Thorben, mit dem ich heute im Angriffstrupp war, pflichtete mir bei: „Klar erinnere ich mich. Wenn wir wieder einrücken, ist es womöglich schon hell.“ Der Motor des roten Löschmonsters brüllte auf, die Karosse setzte sich in Bewegung und verließ die Halle. Begleitet von den blau blitzenden Fassaden in den nächtlichen Straßen rauschten wir quer durch die Stadt. Die halbe Feuerwehr war alarmiert worden, das hörten wir nach und nach über Funk. Das erste anrückende Fahrzeug meldete von weitem sichtbaren Feuerschein. Also kein Fehlalarm, dachte ich mir. Das war nun klar. Zum Ausrüsten hatten wir als eine der am weitesten entfernten Einheiten genug Zeit: Erst auf halbem Weg fingen Thorben und ich an, uns die dicken Brandschutzhosen und Jacken überzustreifen, die Atemschutzgeräte umzuhängen, Funkgerät und Lampe einzustecken und die Atemmaske herzukramen.

Bereits weit vor der Einsatzstelle sah ich durch das Gestänge der Atemschutzhalterungen den rot-orange beleuchteten Nachthimmel. Beim näherkommen machten wir auch die Flammen aus, die sich in die Höhe wanden und den dickem, schwarzen Rauch darüber von unten glühen ließen. „Alter Falter, da brennt nicht nur ein Altpapier- Container!“, entfuhr es mir. Thorben blies bei diesem Anblich auch die Backen auf. Mittlerweile waren wir im Empfangsbereich des Einsatzstellen- Funkes und hörten, wie der Einsatzleiter die eintreffenden Kräfte koordienierte: „LF 5 bleibt vorne, Riegelstellung zur Halle! Da muss die Brandausbreitung verhindert werden. Ihr bildet mit DL 4 den Abschnitt 1. – DL 4: mit dem Werfer über das Dach! – Das LF3 und LF 7 auf die Rückseite, ihr seid Abschnitt 2, unter der Führung von LF7. – LF 14: Wasserversorgung für Abschnitt 2! …“ Die Kommandos rissen nicht ab. Die Organisation lief, ständig trafen mehr Kräfte ein und wurden ihren Aufgaben zugewiesen, bis auch wir am Rande des Hafengebietes zunächst an der Hauptstraße stehen blieben. Unser Chef meldete sich an: „LF 6 eingetroffen, an der Bunsenstraße in Bereitstellung.“ Die Antwort kam umgehend: „LF 6 unterstützt in Abschnitt 1, Atemschutztrupp beim Abschnittsleiter melden. Und euer Fahrzeug unterstützt die Wasserversorgung für Abschnitt 1.“ Thorben und ich verließen also unser Löschfahrzeug und liefen in Richtung Einsatzstelle, da auf der Zufahrt kaum noch ein Durchkommen für Fahrzeuge war. Links und rechts der Straße standen die bereits eingesetzten Fahrzeuge, Schläuche wurden verlegt, Haspeln wurden entrollt, die Atemschutztrupps machten sich einsatzbereit. Auf dem Firmengelände stand eine etwa 30×80 Meter große Halle mit Betonwänden, deren Tore an der Stirnseite geöffnet waren. Im Inneren der Halle war die Luft klar, es führten bereits zwei Schlauchleitungen ins Innere, von denen eine schon unter Druck stand. An der Längstseite der Halle war ein Freilager eingerichtet, auf dem im Abstand von etwa fünf Metern zur Hallenwand tonnenweise Kunststoffelemente zwei bis drei Meter hoch gestapelt waren. Und dort war die Hölle entfesselt: Auf einer Länge von etwa 50 Metern und in einer Breite von fast zwanzig Metern loderten die Flammen mit einem lauten Rauschen weit über die Dachkante der Halle empor.  Die Hitzestrahlung war enorm. Davor standen zwei Trupps mit je einem Strahlrohr und versuchten, die sich ausbreitenden Flammen auf dem See aus geschmolzenem Kunststoff daran zu hindern, einen LKW zu erfassen, der neben der Halle abgestellt war. Vor der Glutfront sahen sie fast verloren aus. Der Korb einer Drehleiter wurde über die Halle gefahren, um mit seinem angebauten Wasserwerfer das Dach der Halle zu schützen, ein weiterer mobiler Werfer wurde an uns vorbeigetragen. Thorben fasste seinen Eindruck in einen bekannten Spruch: „Kein Zweifel: Das ist ein ‚Werfer- und Brötchenfeuer‘ !“ (Heißt: Wasserwerfer in Stellung bringen und mit Wasser versorgen, in den Pausen bis „Einsatzende“ Brötchen essen …)

Nach kurzer Suche fanden wir den Abschnittsleiter. Er hatte auch sofort eine Idee, wo er uns gebrauchen könnte: „In der Halle liegt schon eine Leitung. Die verlängert ihr bis in den Produktionsbereich ganz hinten und riegelt mit eurem Strahlrohr die Oberlichter ab. Da schlagen schon die Flammen rein!“ Wir besorgten uns also Schläuche, schlossen unsere Atemschutzgeräte an, schwangen uns die LKW- Verladerampe hinauf und gingen durch ein großes Rolltor. In der Halle stand auf dem breiten Durchgang, der entlang der linken Außenmauer freigehalten war, bereits das Löschwasser. Die Feuersirene des Betriebes heulte laut und nervig. Bis kurz unter die Decke stapelten sich rechts die Produktionsgüter auf Paletten. Leichter Dunst hing unter der noch funktionierenden Hallenbeleuchtung. Geradeaus, auf einer freien Fläche, stand ein gasbetriebener Gabelstapler, vor ihm kokelten ein paar Holzpaletten. Der Stapler wurde von den Mitarbeitern gerade noch rechtzeitig in die Halle geholt, bevor er ebenfalls Feuer fangen konnte. Das Metall- Rolltor vor dem Stapler zum Hof war verschlossen, sonst hätte es in der Halle wohl schon gebrannt.

Wir folgten der bereits liegenden Schlauchleitung, vorbei an der schon unter Druck stehenden, die an einigen Stellen durch herumliegende Scherben der Oberlichter beschädigt war und dadurch den Gang streckenweise in vernebeltes Wasser hüllte. Am Ende verlängerten wir die Schlauchleitung wie geheißen und zogen sie vorbei an einem weiteren Trupp, der mit seinem Rohr bereits die Oberlichter in diesem Bereich abriegelte: diese erstreckten sich entlang der kompletten Seitenwand der Halle. Die Glasscheiben waren auf etwa 15 Meter von der Hitzeeinwirkung bereits geplatzt. Ab und zu sah man Flammen von außen hereinschlagen, was der eingesetzte Trupp mit einem scharfen Wasserstrahl konterte. Sollten die Flammen hier einmal durchbrechen, war die Halle verloren. Unser Rückweg wäre dann ebenfalls abgeschnitten, so dass wir uns also sofort nach einer Alternative umsehen sollten, wenn wir die Arbeit im hinteren Hallenteil aufnehmen würden. Doch zunächst legte ich mich erst mal aufs Maul: Die dicken Glasscherben der Oberlichter, die unsichtbar im Löschwasser lagen, waren auf dem gestrichenen Boden wie Eisplatten – und ich trat auf eine, die mir gleich das Wunder der Physik näherbrachte. Die Rechnung war einfach: (Reibungswert Null) + (Schwerpunkt [durch Wegrutschen der Beine] außerhalb der Mittellinie) = Beschleunigung in Richtung Erdmittelpunkt durch ungünstiges Kräfteparallelogramm. Die rechte Seite meiner Schutzkleidung war sofort pitschnass. Klasse. Ich war nur froh, dass dem Atemschutzgerät auf meinem Rücken nichts passiert war. Würde ich auf das Ventil stürzen und es bei der noch fast vollen Flasche abbrechen, wäre ich wohl schneller am anderen Ende der Halle, als es mir lieb war. Zum Glück standen hier auch nicht irgendwelche Scherben hoch, die mich hätten verletzen können. Thorben drehte sich erschrocken um: „Alles okay?“ – „Nichts passiert! Ich wollte bloß mal die Löschwassertemperatur checken“, redete ich mich raus, rappelte mich auf und zog weiter am Schlauch.

Im hinteren Bereich, der durch ein Feuerschutztor vom Rest der Halle abgeschlossen war, war alles still. Nur die Feuersirene nervte. Kein Feuer, die Oberlichter waren intakt. An der Seitenwand wieder ein Metalltor mit einer Schlupftür. Ich öffnete sie vorsichtig und hatte einen freien Blick auf das Außengelände, wo etwa 10 Meter vor mir die Flammen tobten. Sie schlugen im Bereich des innen stehenden Trupps bis gegen die Fassade der Halle und unter die Traufe des Blechdaches. Die Dachrinne war bereits verbrannt, hier und da senkte sich die Kante der Trapezblecheindeckung unter der Gluthitze. In unserem Bereich hingegen war alles gut. „Wir greifen das Feuer von hinten an“, entschied ich. Nachdem unser Rohr unter Druck stand und wir den Schlauch ein Stück durch die Tür gezogen hatten, versuchten wir, möglichst nahe an den Brandherd zu kommen. Aber unser Wasserstrahl wurde von der Thermik des Feuers sofort hochgerissen und verdampfte in dem meterhohen Inferno. „Das ist sinnlos!“, rief Thorben. „Das Wasser kommt nicht einmal bis an das Brandgut!“ Über Funk berichteten wir kurz über die Lage bei unserer Stellung: „Oberlichter in unserem Abschnitt intakt, Fassade nicht durch Flammen beaufschlagt. Brandabschnitt der Halle ist Rauchfrei. Unser Angriff im Außenbereich hat keinen Erfolg!“ Der Abschnittsleiter instruierte uns neu: „Dann zieht euch zurück. Macht den Brandabschnitt dicht [Anm.: alle Brandschutztüren zu], und ihr unterstützt den Trupp weiter vorne. Denen geht das Feuer sonst gleich durch!“ Das erschien uns auch sinnvoller. Wir verlegten also zurück in die Halle, wo wir den dortigen Kollegen einen Teil der Fensterfront abnahmen. Mittlerweile waren dort noch mehr Oberlicht- Scheiben geplatzt und herabgestürzt, so dass ein Trupp alleine den Bereich nicht sicher abdecken konnte.

 

Dort, wo wir dann standen, war vor uns eine offene Fluchttür. Doch flüchten sollte man durch sie nicht: Dahinter begann nämlich die Flammenwand! Ich ging kurz etwas näher zur Tür, um mich über die Lage draußen zu orientieren: Wild schlugen die hell- orangenen Flammen hoch, setzten tiefschwarze Rauchwolken frei, die sie mal umhüllten, mal vor sich her schoben. Das Feuer entfachte rundherum einen Sog, so dass der Wasserdampf vom Asphalt und der Rauch der Umgebung in das Feuer hineingezogen und nach oben gerissen wurden. Dadurch war in der Halle die Sicht relativ klar. Der Asphalt war bedeckt von einer kochenden Pfütze aus geschmolzenem Plastik, die enorme Hitze war durch das Glas meiner Atemschutzmaske im Gesicht zu spüren. Zwischen dem Brandgut auf dem Hof und der Halle waren immer noch etwa 5 Meter. Trotzdem schlugen die Flammen mit aller Macht gegen die Hallenwand. An einen direkten Angriff war mit unseren Mitteln noch nicht zu denken. Es wäre so, als würde man in ein Krematorium pinkeln … Ich hatte genug gesehen und zog mich zurück. Einige Minuten sicherten Thorben und ich die zerstörten Oberlichter unter der Dachkante, bevor wir von dem anderen Trupp, der ein paar Meter weiter stand, auf etwas aufmerksam gemacht wurden. Durch die Atemschutzmasken und das Sirenengeheul verstand ich zwar nichts, aber ihre Gesten auf das Lagergut hinter uns waren Information genug: Die immer noch funktionierende Brandschutzanlage der Halle hatte automatisch den Rauch- Wärme- Abzug in der Mitte des Hallendaches geöffnet! Dort schlugen aber immer noch die Flammen über das Dach der Halle, die nun die aus Kunststoff bestehende Haube des Abzuges erfassten. Brennend tropfte das Plastik nun auf die darunter gestapelten Paletten, die von uns aus in dritter Reihe standen! Sollte das Feuer sich da oben einnisten, hätten wir keine Möglichkeit, dort gezielt zu löschen. Die Halle wäre unweigerlich verloren …  „Thorben! Halt dein Rohr da unter den Abzug, der tropft brennend ab!“, rief ich ihm zu. Er drehte sich um und spritzte sein Wasser in den gefährdeten Bereich, in der Hoffnung, dass es noch nicht zu spät war. Ich unterstützte bei der Schlauchführung, der andere Trupp musste unseren Teil der Oberlichterfront für einen Moment wieder übernehmen. Auch unser Schlauch war nun an einigen Stellen von den umherliegenden Scherben beschädigt, was in diesem Falle aber wohl eher zum Vor- als zum Nachteil gereichte: Das fein versprühte Wasser aus den Löchern benetzte das gestapelte Lagergut, wodurch es vor Funkenflug und Wärmestrahlung zumindest an einigen Stellen geschützt wurde. Auch außen hatte man von einer Drehleiter aus das Öffnen des Abzuges bemerkt und spritzte nun von oben Wasser auf den Deckel. Der Bereich konnte durch sie gehalten werden, so dass wir uns schnell wieder um die Oberlichter kümmern konnten. Der Werfereinsatz auf den Wärmeabzug hatte allerdings auch den Effekt, dass wir unten im prasselnden Löschwasserregen standen, wodurch wir nun in kurzer Zeit wirklich pladder- nass waren.

Nach etwa einer halben Stunde war unser Luftvorrat verbraucht, und mein Atemschutzgerät fing an, durchdringend zu pfeifen: Der Warnton für einen Restdruck, der für den Rückweg reicht. „Abschnittsleiter 1 von Trupp 6, kommen! Wir haben keine Luft mehr, brauchen Ablösung!“, sagte ich ins Funkgerät. „Okay, kommt raus. Lasst das Rohr da liegen, ich schicke Ersatz“, quäkte es aus dem Kommunikationsklotz. Unterwegs zum Ausgang kam uns schon ein frischer Trupp entgegen, den Thorben kurz instruierte: „Das Rohr liegt da hinten, zehn Meter vor dem zweiten Trupp. Ihr müsst die geplatzten Oberlichter abriegeln. Passt auf die Scherben auf, die sind sau- glatt!“ Sie hatten verstanden und gingen an uns vorbei. Der Abschnittsleiter empfing uns im vorderen Bereich der Halle – nicht jedoch, ohne sich ebenfalls wegen der eisglatten Scherben aufs Maul zu legen … Als er sich hochgerappelt hatte, wies er uns an: „Wir haben kaum noch Atemschutzgeräteträger. Ihr holt euch also neue Flaschen für die Geräte, ruht euch einen Moment aus und meldet euch dann wieder. Trinken nicht vergessen!“ Mir fiel der Slogan ein: „Der ärgste Feind des Soldaten ist die Dehydration!“ – ohne zu wissen, woher das Zitat stammte. Aber es ist etwas wahres dran.

Wir verließen den „inneren Kreis“ und holten uns am Atemschutz- Gerätewagen wie geheißen neue Flaschen. Um uns herum großes Treiben: Etwa sechs Kollegen standen am Gerätewagen und wurden bei der Flaschenausgabe für ihren zweiten Einsatz registriert. Der große Einsatzleitwagen war in Stellung gegangen und man sah die Führungsgehilfen im erleuchteten Inneren Protokolle führen, den Funkverkehr abwickeln und die Logistik organisieren. Polizisten standen mit Mitarbeitern der Firma zusammen und nahmen erste Aussagen auf. Die Pumpen der eingesetzten Löschfahrzeuge brüllten und übertönten die Fetzen des Funkverkehres. Kupplungen klimperten, in der Ferne Martinhorn und die nervige Feuersirene der Halle. Hier und da trieben sich Reporter herum und filmten die Einsatzstelle. Die Kollegen vom Abschnitt „Wasserversorgung“ legten gerade die dritte und vierte Schlauchleitung von weit her zum Brandort, und der Versorgungszug (auch „FF Bratwurst“ genannt) baute seine Verpflegungsstation auf. An uns vorbei schob ein Kollege einen Einkaufswagen mit einem Berg Getränkeflaschen „an die Front“, und frische Atemschutztrupps gingen aus dem Bereitschaftsraum kommend an uns vorbei zur Halle, um dort eingesetzte Kollegen auszulösen. Doch nicht nur hier, direkt an der Einsatzstelle, spielte sich der ganze Umfang ab: Einige freiwillige Löschgruppen waren im Hintergrund alarmiert worden und besetzten nun die verwaisten BF- Wachen, um das „normale“ Geschäft weiterzuführen. Containerbrände, Türöffnungen oder Verkehrsunfälle passieren natürlich trotz eines Großeinsatzes auch weiterhin – wie jeden Tag.

Nach dem Flaschentausch erholten wir uns ungefähr eine halbe Stunde, in der wir jeder etwa einen Liter Apfelschorle tranken, um unsere Verluste durch Schwitzen zu kompensieren. Dann meldeten wir uns erneut beim Abschnittsleiter, der uns wieder in die Halle schickte. „Klasse, dass ihr da seid. Drinnen ist ein Trupp mit einem B- Rohr, etwa auf halber Hallenlänge an einem Auslieferungstor. Die Kollegen löst ihr ab.“ Erneut betraten wir also die Halle. Die Anstrengung machte sich nun bemerkbar: War ich beim ersten Einsatz an der Rampe noch fast mit einem Satz hochgesprungen, musste ich nun „orentlich“ hinaufklettern. Drinnen wieder Wasser, darin unsichtbare Scherben und Physik … Allerdings konnte ich das Gleichgewicht nach einer spektakulären Verrenkung halten. Schließlich war ich schon nass, da musste ich mich nicht noch einmal in den Löschwasserteich in der Halle schmeißen. Dafür lag Thorben einige Momente später am Grund, als er nach dem Übersteigen einer Schlauchleitung ungünstig auftrat. „Hier sollte man mal fegen, was?“, feixte ich und half ihm auf.

B- Hohlstrahlrohr

Durch ein Spalier aus Wassernebel, der aus den beschädigten Schläuchen in der Halle spritzte, gingen wir zu besagtem Tor vor. Dort übernahmen wir ein Strahlrohr, welches 360 Liter pro Minute in die Flammen entließ. Die Veranstaltungsleitung hatte mittlerweile die Beimengung von Schaummittel angeordnet, was das Feuer ersticken sollte. Zeitgleich wurden draußen die „großen“ Schaumrohre aufgebaut.  Allerdings war die Wirkung zunächst nicht so spektakulär wie erwartet: Obwohl der Brand schon etwas eingedämmt werden konnte, so dass es für den Trupp neben uns möglich war, die Hallenfassade und die Oberlichter nun von außen zu schützen, reichte die Thermik des Feuers immer noch dazu aus, unseren mächtigen Strahl sofort verdampfen zu lassen, wenn wir einfach ungezielt in die Flammen spritzten. Mühselig musste aus der Entfernung jeder Quadratzentimeter dem Feuer abgerungen werden. Wir nahmen Stellung vor dem Hallentor. Metalltrümmer der Oberlichter lagen hier herum, wir mussten aufpassen, uns nirgendwo zu verletzen. „Halt den Strahl auf die ersten Paletten da links!“, rief mir Thorben zu. „Dort stehen auf der anderen Seite schon Kollegen mit einem Rohr, zusammen haben wir größere Chancen auf Erfolg.“ Ich tat wie angesagt. Aber benetzte man die am Rande des Feuers gelöschte Stelle nicht ständig weiter mit dem wässrigen Schaum, wurde die weiße Sauce durch die Hitze innerhalb weniger Sekunden wieder getrocknet und der Kunststoff erneut in Brand gesetzt. Die Hölle wurde kaum kleiner.

Alles war heiß: Kam der Stoff der Kleidung durch Bewegungen an die Haut, spürte man es sofort. Die Nässe leitete die Wärme durch die Schutzkleidung, die nur im trocknen Zustand wirklich isoliert. Ich stützte mich kurz mit der Hand an der Betonwand der Halle ab – und musste sie nach wenigen Sekunden zurückziehen, weil die Hitze trotz Handschuhe zu groß an der Hand war. Die Hitze strahlte wieder durch meine Atemschutzmaske. Zudem änderte sich manchmal die Strömungsrichtung am Feuer, so dass wir teilweise vom dicken Qualm umhüllt wurden und das Feuer vor uns, das immer noch meterhoch loderte, nicht mehr sehen konnten. Wenn sich der Sog des Feuers dann wiederum änderte, standen wir plötzlich in einer Wolke hochgewirbelter Flocken aus dem weißen Teppich, den die ersten eingesetzten Schaumrohre nun legten. Wir mussten ständig aufpassen, nicht zu stürzen, da wir unsere Position ausgerechnet zwischen den Trümmern der herausgefallenen Oberlichter- Rahmen halten mussten: Etwas zurückgehen konnten wir nicht, da der Strahl dann den Brandherd nicht mehr erreicht hätte. Weiter vorgehen konnten wir auch nicht, da die Hitze dort zu groß war. An meinem Körper war keine Stelle mehr trocken, der Schweiß lief mir am Rücken herunter und hing in der Maske an der Nasenspitze. Thorben und ich versuchten, den widerspenstigen B- Schlauch zu bändigen, was durch die Druckschwankungen in der Versorgung ein ständiger Kampf war. Thorben hatte eine Idee: Er holte aus der Halle eine Holzpalette, die er vor uns hinstellte. Auf die Oberkannte drückte ich nun das Hohlstrahlrohr, Thorben hielt weiter hinten den Schlauch etwas hoch, so dass ich den Brandherd am Fuße traf. Das erleichterte unsere Arbeit zumindest etwas. Ein wenig abgeschirmt hinter der Palette konnten wir so die Flammen weiter schwächen. Und endlich hatten alle getroffenen Maßnahmen etwas Erfolg, der dunkle Rand am lodernden Orange wurde langsam breiter! Mehrfach wechselten wir die Positionen. 3 Meter des gefüllten Schlauches, den wir hochhalten mussten, wiegen etwa 15kg. Hinzu kommt die Rückstoßkraft des Wassers. Da wurden die Arme beim Halten immer länger, und die Oberschenkel brannten von der Anstrengung, sich gegen den ständig schwankenden Wasserdruck stemmen zu müssen. Alles in allem schleppt man mit der persönlichen Schutzausrüstung, zusammen mit dem Atemschutzgerät, das die Atmung behindert, etwa 20 Kg mit sich herum. Diese wurde durch gefühlt 2kg Wasser, welches in der pitschnassen Kleidung aufhältig war, noch zusätzlich beschwert. Zudem kann man sich in der nassen Kleidung schlechter bewegen, wenn die Stofflagen aufeinanderkleben. Und klimatisiert ist das 4- lagige Zeug auch nicht. Die Maske schränkt die Sicht ein und zieht den Kopf nach vorne, das Atemschutzgerät die Schultern nach hinten. Schwerstarbeit.

Noch bevor das Feuer auch nur annähernd in Gewalt war, fing dieses mal Thorbens Atemschutzgerät an zu pfeifen. „Das ist mein Gerät“, rief er mir zu, als ich mich suchend umschaute. Der helle Pfeifton lässt sich nur schwer lokalisieren. „Mir geht die Luft aus. Rückzug!“  Ohne die Früchte unserer Bemühungen ernten zu können, ließen wir uns also erneut ablösen. Durch-nass, abgekämpft und mit Schmerzen im Schultergürtel meldeten wir uns beim Abschnittsleiter ab. Hinter uns loderte immer noch die Flammenwand, wenn auch etwas kleiner. Die Halle konnten wir mit vereinten Kräften und flexibler Taktik entgegen erster Befürchtungen halten, den Rest würden die Kollegen übernehmen. Deutlich merkte ich, dass ich kein 25jähriger mehr war.  Ich nahm den Helm und die Maske ab, und erschöpft, mit offenem Mund atmend und triefend vor Schweiß und Löschwasser, schleppten wir uns zum Atemschutz- Gerätewagen, wo wir unsere Geräte tauschten, um damit unsere Fahrzeugbeladung wieder zu kompletieren.

Für uns war der Einsatz beendet. Wir setzten uns in die „Wohlfühl- Oase“ der „FF Catering“: Bierzeltgarnituren auf einem angrenzenden Firmenparkplatz. Etwas abgeschirmt vom Einsatztrubel gab es dort genügend Getränke, eine heiße Bockwurst und Schokoriegel, um seine Ressourcen wieder aufzufüllen. Um uns herum saßen etwa fünfzehn abgekämpfte Kollegen. Ich unterhielt mich kurz mit einem „Rookie“ aus dem Grundlehrgang, der gerade sein Wachpraktikum machte. „Das ist erst meine dritte Schicht“, freute er sich hochmotiviert. „Und dann gleich so ein Großbrand! Das ist schon irgendwie heftig.“ Ja, dachte ich, das ist beeindruckend, die Gewalt des Feuers zu erleben, und zu sehen, was die Feuerwehr alles aufbietet, um sie zu brechen. Ich dachte kurz an meinen ersten Großbrand bei der BF. Eine Werkstatthalle mit Oldtimern. Mein Truppführer damals, ein erfahrener Kollege, musste den Einsatz wegen „Kreislauf“ abbrechen und wurde in den RTW gebracht, während ich einem anderen Kollegen zugeteilt wurde. War schon aufregend. Ein ganz besonderer Job eben, der manchmal viel fordert.

Auf dem Rückweg zu unserem Löschfahrzeug gingen wir an einer gefühlt endlosen Reihe roter Autos vorbei, die auch nicht abriß, als wir nach dem Besetzen unseres Dienstwagens an der Hauptstraße losfuhren. Überall Blaulicht, abgestelltes Material, Schläuche, Streifenwagen … Und viele nachalarmierte frische Kollegen warteten dort in den Fahrzeugen auf ihren Befehl, um die erschöpfte „erste Schicht“ an der Einsatzstelle abzulösen.

Um halb zwei waren wir ausgerückt, um kurz vor sechs waren wir wieder auf der Wache. Ich duschte, und wenige Minuten vor Sonnenaufgang fiel ich in das Bett meines Ruheraumes. Gnädigerweise hatte der Wachführer „Wecken um 10 Uhr“ angeordnet. Dass daraus nichts wurde, weil die Leitstelle eine Stunde später schon wieder zu einer „Tragehilfe“ für den Rettungsdienst rief, war klar. „Murphy’s Law“ lässt grüßen. Aber so steht es in unserer Stellenbeschreibung. 😉

 

 

 

Über firefox05c

Firefighter, Kittyowner, Bagpipeplayer. Querulant. Manchmal bissig, aber im Großen und Ganzen handzahm. Die Themen hier: Feuerwehr - Rettungsdienst - Alltag .
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9 Antworten zu Großfeuer

  1. DMR schreibt:

    Schöner Bericht. Ich selber habe ein Jahrzehnt angenommen, dass das von Ihnen beschriebene Zitat („Der größte Feind de Soldaten ist die Dehydrierung.“) aus einer Bundeswehrvorschrift stammt, tatsächlich kommt in „Band of Brothers“ vor… Wahr ist es dennoch!

    • firefox05c schreibt:

      Der Spruch kann ja durchaus seinen Ursprung (oder Verwendung) beim Militär haben. In dem Mehrteiler geht es immerhin um die Verfilmung wahrer Begebenheiten. 😉

  2. kleiner_Geist schreibt:

    First things first:
    Alle Kollegen sind hoffentlich heil wieder raus gekommen?
    Weiterhin: Ich in sehr froh, dass es euch gibt.

  3. Nobody schreibt:

    Ein toller Bericht. Danke für euren Einsatz. Das klingt echt heiß!

    Was du aber mit abriegeln der Oberlichter meintest ist für einen Laien nur im Text zu verstehen. Ich dachte erst, muss man die Oberlichter gesondert abschließen. Das ihr dafür Wasser benutzt wurde erst später klar.

    Was ist eigentlich mit den kaputten Schläuchen? Gibt es da eine Reseve oder muss der Trupp ein halbes Jahr auf die neue Bestellung warten?

    • firefox05c schreibt:

      Wir haben natürlich einen gewissen Reservebestand von dutzenden Schläuchen. Allerdings müssen die meisten davon wegen eines vorherigen Großbrand es noch gereinigt werden, daher sind die „sofort verfügbaren“ im Moment trotzdem ein wenig knapp. Aber keine Bange: die Schlauchfächer in den Fahrzeugen sind voll. 😉
      Das mit dem „abriegeln“ werde ich ändern. Danke.

  4. Carsten schreibt:

    der Wahnsinn, Daumen hoch! Gabs eine Untersuchung zur Brandursache?

  5. Peter Vorweger schreibt:

    Man kann es gar nicht oft genug sagen: danke, dass ihr euren Kopf hinhaltet, damit die Welt ein sicherer Ort ist!

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