Gummiwurst

In unserem Beritt befindet sich auch ein Flussabschnitt, also gehört die Wasserrettung mit zu unserem Aufgabenbereich. Bisher hatte wir dafür einen an sich ungeeigneten Überlebensanzug. Vor einigen Monaten wurde hierfür jedoch die Ausrüstung geändert, nun hatten wir neben anderen Geräten auch einen Trockentauchanzug zur sogenannten Strömungsrettung bekommen. Hiermit muss man natürlich auch üben. Also fuhren wir mit unseren Feuerwehrtauchern ans Wasser an eine strömungsreiche Stelle, um uns hinter einem Wehr mal ordentlich die Wäsche durchspülen zu lassen.

Vom Ausbilder der Tauchergruppe wurden uns auf dem Platz, auf dem wir die Fahrzeuge geparkt hatten, vorab Tips zum Handling der Neoprenanzüge gegeben. Ich hatte noch nie in so einem Ding gesteckt, sollte heute aber „entjungfert“ werden. Da zu unserem Fahrzeug nur ein Anzug gehörte, hatten die Taucher noch zusätzliche Gummikombis mitgebracht. „Ich glaube, wir haben einen Anzug zu wenig mit“, gab ein Taucher zu bedenken, als er unsere 5er- Gruppe Lehrlinge mit gespannten Gesichtsausdrücken vor sich aufgestellt sah. „Von den neuen Anzügen haben wir nun insgesamt nur vier.“ Ich machte also unbemerkt einen Schritt zurück, denn es gibt zwei Sachen, mit denen ich nicht viel zu schaffen habe: Ballspiele und schwimmen. Bei ersterem hatte ich mich schon mehrfach verletzt, bei letzterem wollte ich es nicht so weit kommen lassen. Doch nachdem die vier neuen Anzüge rausgegeben waren und sich der erste Kollege im Taucherwagen in die Pelle zwängte, schaute ein weiterer Taucher auf mich und meinte nachdenklich: „Hmm… Wir haben da noch ein paar andere Anzüge mit. Nicht mehr die neuesten, aber … schauen wir mal!“ – ‚Mist. Ich hasse euch alle!‘ , fuhr es mir durch den Kopf. Für eine Krankmeldung war es nun wohl zu spät.

Als die Wachkollegen nun alle in Gummi verpackt waren, wurde ich in das Taucherfahrzeug gebeten, und der Wasserretter schaute dort durch den Schrank, was er mir anbieten könnte. „Was brauchst du denn?“ – „52, denke ich.“ – „Ich habe hier einen in Größe 60“, meinte er und hielt die Gummisau neben mich. Die Beine lagen auf dem Boden, und die Schulter war auf meiner Augenhöhe. „Oha… Da kann ich ja Knoten in die Beine machen!“, entfuhr es mir. „Dann schleppe ich eine halbe Tonne Wasser mit mir herum.“ Mit dem Bild im Kopf, wie ich womöglich mit Knoten in Ärmeln und Beinen auf dem Platz herumhüpfte, um nicht über die zu langen Neoprenröhren zu stolpern, lehnte ich dankend ab. „Tja, dann …“, er zog einen weiteren Anzug aus den Schrank, „… habe ich nur noch den hier, in Größe 50.“

Nun ja, dachte ich, das schwarz- graue Ding wird sich doch noch etwas dehnen, und zu kurze Beine wären mir egal. Es ist bloß eine Nummer zu klein. „Okay, ich probiere den mal“, sagte ich unternehmungslustig und fing an, mich in das Ding zu quetschen. Mangels eines Tannenbaumtrichters oder Vaseline war das aber ein schweißtreibendes Unterfangen, denn die Hülle wollte sich nicht so einfach meinen Kurven fügen, wie ich es mir vorstellte. Ich zerrte schwitzend an den Beinen und verrenkte mich in die Ärmel. Mein Gott, es war doch nur eine einzige Nummer zu klein, das musste doch irgendwie gehen! Es war elastisches Neopren, das sollte sich doch dehnen! Ich erwartete jeden Moment den unkontrollierten Abschuss des Anzuges, falls er mir beim ziehen aus den Fingern rutschen sollte. Wie in der Szene in „Die nackte Kanone“ … Letztendlich konnte ich mich jedoch in das Körperetui zwängen. Aber als ich den Reißverschluss schließen wollte, war es nun endgültig so weit: Ich brauchte fremde Hilfe. Während der unterstützende Kollege die Seiten des Reißverschlusses mit Gewalt zusammenzerrte, vollzog ich einen Kraftakt am Zipper. Und gemeinsam war es dann auch geschafft: Ich steckte in der Pelle und wusste nun genau, wie sich eine Bockwurst kurz vor dem Platzen fühlen musste. Aber die Arme bekam ich nicht mehr an den Körper gelegt. Wahrscheinlich war der Anzug nicht nur Größe 50, sondern sogar noch kleiner …

„Alter!“, japste ich, „datt iss getz aber ’nen Trockentauchanzug, ne?“ Der Taucher schüttelte den Kopf: „Nö, das ist ein Nass- Anzug.“ Ich aber war mir sicher, dass der Fachmann sich irrte: „Nein. Auf keinen Fall passt hier jetzt noch Wasser rein!“ Er grinste. „Kannst den Reißverschluss ja erst noch mal öffnen, sonst läuft dir der Schweiß gleich aus den Schuhen wieder raus“, empfahl er mir. Und so verschaffte ich mir ein Dekolleté wie aus einem billigen 70er-Jahre-Softporno und damit auch wieder etwas Luft. Somit konnte man mich in der schwarz-grauen Pelle wenigstens nicht mit einem Orka verwechseln. Ich watschelte raus auf den Platz, wo die Kollegen schon auf den weiteren Fortgang der Ausbildung warteten. Nein, ich sah nicht aus wie eine Presswurst. Denn die hatte eine andere Farbe …

Nach einer Ansage zum genauen Übungsablauf gingen wir zum Wasser, wo es ordentlich Strömung gab. Wir lernten, dass man nicht gegen die Strömung anschwimmen kann und es deshalb auch kaum möglich ist, einen Uferpunkt genau gegenüber zu erreichen. „Viele Schwimmer geraten in Not, weil sie versuchen, den Fluss gerade zu queren und damit gegen die Strömung anzuschwimmen. Das schafft aber keiner!“, klärte der Wassermann uns auf. In unserem Fall, bei dem das andere Ufer 20m entfernt lag, riet er uns, besser einen Punkt etwa 35m stromabwärts ins Auge zu fassen. Dort war ein Kanusteg, von dem aus wir üben wollten. Diesen konnten wir erreichen, indem man sich beim Schwimmen etwa 45 Grad gegen die Strömung wandte, wobei man natürlich kalkuliert entsprechend weit abgetrieben wurde. Das klappte auch ziemlich gut – auch, wenn ich arg mit meiner Bewegungsfreiheit zu kämpfen hatte, weil ich dazu den Porno- Ausschnitt geschlossen habe.

Als wir alle den Steg erreicht hatten, begann der „Lernteil“: „Okay, dann fangen wir nun mit der Rettungsübung an. Einer von euch legt sich eine Feststoff- Schwimmweste an, schwimmt wieder auf die andere Seite und geht dann oberhalb zurück ins Wasser. Dann schwimmt er bis zur Mitte des Flusses und lässt sich hier vorbeitreiben“, erklärte der Wassermann. „Der nächste Kollege springt ihn nun mit der zweiten angelegten Weste und Leine an und hält ihn fest.“ Zwei weitere Feuerwehrmänner in Gummihosen sollten nun das andere Ende der Leine so festhalten und führen, dass die beiden im Wasser durch die Strömung ans Ufer getrieben würden. Danach sollte durchgetauscht werden, damit wir alle dieses Prozedere auf jeder Position üben konnten.

Irgendwann war ich an der Reihe und sollte das „Opfer“ spielen. Ich zog also die Schwimmweste über den eh‘ schon zu engen Neoprenanzug. Dabei hatte ich noch die Warnung im Gedächnis, die Gurte nur gut festzuziehen, damit die Weste sich im Wasser nicht hochschieben konnte. Meine Schlosserhände rissen also ordentlich an den Gurten. Die rote Weste saß nun spack über dem viel zu engen Anzug, der seinerseits schon nur mit Gewalt und fremder Hilfe zu schließen war und trotzig in die alte Weite drängte. „So“, dachte ich mir. „Die rutscht bestimmt nicht mehr.“ Ich konnte kaum noch gerade stehen, so eng war alles. Zusammen mit der Unfähigkeit, die Arme an den Körper zu legen, stand ich nun wie ein Gorilla auf dem Steg. Quasi ein Rettungsaffe. Allerdings hatte ich mir nun endgültig ein Problem geschaffen, denn eine zu enge Gummisau plus die zu fest angelegte Schwimmweste hieß: Die Brustatmung war erfolgreich abgeschaltet! Ich war jedoch so konzentriert auf die Anweisungen und die kommende Übung, dass es mir nicht auffiel.

Anschließend sprang ich in die Strömung, um zur Übungsvorbereitung die Flussseite zu wechseln. Durch mangelnde Erfahrung kam ich aber nicht bereits schon vorab drauf, dass im Wasser das zweite Problem entstand, sondern erst, als ich schon in dem wirbelnden Strom schwamm: Durch den dort notgedrungen durchgestreckten Körper und dem erhobenen Kopf bei dem viel zu engen Anzug war nun auch eine Bauchatmung kaum noch möglich! Böse Falle. Keine Brustatmung, keine Bauchatmung, körperliche Anstrengung: Ich bekam bereits nach ein paar Schwimmzügen Luftnot. Und das nicht zu knapp. Wie eine eiserne Faust umklammerten der Anzug und die Weste den Brustkorb. Die Atemzüge wurden kürzer und schneller, mit jedem Schwimmzug fehlte mir mehr Luft. Ich hatte das Gefühl, schon fast im Bereich der Totraumatmung angekommen zu sein. Aber ich bekam keinen einzigen tiefen Atemzug mehr hin! Ein Anflug von Panik. Gedanken schossen mir durch den Kopf: Soll ich abbrechen und um Hilfe rufen? Wie lange würde es dauern, bis mich einer von den Kollegen erreicht haben könnte, wenn ich mit der Strömung abtrieb? Oder sollte ich mich einfach auf den Rücken drehen und gewollt einen Moment treiben lassen? Denn etwa 50 Meter weiter würde sich die starke Strömung verlaufen, und ich könnte in aller Ruhe zum Ufer paddeln – auch, wenn ich dann „die grüne Hölle am wilden Fluss“ aus Brombeersträuchern und Buschwerk durchqueren müsste, ohne Machete, Proviant oder anderer Spezialausrüstung.

Jede Bewegung fiel mir schwerer, und mein Gesicht tauchte einige Male im Wasser unter. In meinem schwarzen Anzug hatte ich aber mit „free Willy“ nicht nur das Aussehen gemeinsam, sondern ich konnte genau wie er schwerlich unter Wasser atmen (allerdings konnte er die Luft länger anhalten, was in solchen Momenten ein unterschätzter Vorteil ist …). Hob ich den Kopf, bekam ich jedoch erst recht keine Luft mehr, da dann der Atemaparat fast komplett inaktiviert war. Ich versuchte, die Beine etwas weiter unter den Körper zu bringen, um so wenigstens die Bauchdecke ein wenig zu entlasten. Aber durch die recht starke Strömung wurde ich dann sofort auf die Seite und gegen die Fließrichtung gedreht, ich hätte also mein Ziel nicht mehr erreichen können und wäre wiederum einfach abgetrieben worden. Zudem hatte ich auch schon 2/3 der Strecke geschafft. Aufgeben? Nein! Auch die Eitelkeit verbot mir einen Abbruch: Auch mit 50 wollte ich keine Schwäche zeigen und noch mithalten können! Aber war es das wert?

Mit Mühe kämpfte ich mich die letzten Meter bis zum anderen Ufer. Die Pelle ließ kaum größere Bewegungen zu. Die Arme bekam ich nur schwer über Schulterhöhe, da ich in den Schultern keinen Platz hatte. Wie soll man dann Kraulschwimmen? Auch die Kollegen bemerkten jetzt, dass bei mir irgendetwas nicht stimmte, und erkundigten sich sofort nach meinem Befinden, als ich einige Momente später das Gestrüpp auf der anderen Seite erreichte. „Neenee, geht noch. Ich bekomme in dem Anzug nur etwas schwer Luft!“, log ich. Denn ehrlicherweise hätte ich so keine 10 Meter mehr geschafft, ohne dass ich abgesoffen wäre! Allerdings war der nächste Part der Übung ja wesentlich einfacher: Auf den Rücken legen und mit den Füßen voran treiben lassen. Das bekam ich auch ohne Brustatmung noch hin, da dabei wenigstens die Bauchdecke etwas entlastet war. Und dann sollte ja sowieso jemand zu meiner Rettung kommen. 😉

Dieser Teil klappte rein atmungstechnisch in akzeptablem Maß, sonst übungstechnisch gesehen gut. Trotzdem wurde die Luft wieder etwas knapp, als ich am Steg aus den Fluten steigen sollte.

Nachdem ich dann wieder sicher angelandet war, musste ich mich erst einmal erklären. Besorgte Gesichter zeigten mir, dass es auch ohne meinen Hinweis schon bedenklich ausgesehen haben musste, denn niemand der Kollegen lachte, als sie mich fragten: „Hömma, Johnny Weissmüller, was war los? Alles in Ordnung?“ Ich beschrieb mein Problem. Einer der Taucher wusste Rat: „Wenn der Anzug zu eng ist, dann mach den Reißverschluss etwas auf. Dadurch schlägt zwar mehr Wasser rein und es wird dann kühler im Neopren. Aber das ist dann eben zweitrangig.“ Ich lockerte also für den nächsten Versuch die Gurte der Schwimmweste um einen gefühlten halben Meter und zog den Zipper am Neoprenanzug bis unter das Brustbein herunter. Wie eine Knospe in der Frühlingssonne klaffte der obere Teil nun auf und gab meiner Lunge Raum für die täglich‘ Arbeit. Genauso knospenartig blühte mein Befinden nun auch auf, und drei Minuten später war ich wieder bereit für weitere Schandtaten. Mit Porno- Dekolleté und gelockerter (also: nun korrekt sitzender) Feststoffweste klappte dann auch der Rest der Übung, bei der ich dann selbst einen vorbeitreibenden Kollegen aus dem Wasser ziehen musste. Die Fähigkeit, atmen zu können, sollte eben auch im Wasser nicht unterschätzt werden!

Im weiteren Verlauf der Ausbildungseinheit bekam ich sogar langsam Schmerzen in den Oberarmen, da alles im Anzug drückte und presste. Er wollte einfach nicht einsehen, dass er seine Form ändern sollte. Glücklicherweise war das Wildwasser- Happening etwa eine Stunde später beendet und wir durften uns wieder aus den Neoprenpellen schälen. Dabei kam ich noch einmal ordentlich in Schweiß: Genauso widerspenstig, wie der Anzug meinen Körper mit geschlossenem Reißverschluss umschließen wollte, weigerte er sich nun, ihn wieder freizugeben. Störrischer Charakter … Jetzt hatte ich eine Idee, wozu ein Tauchermesser vielleicht auch nach dem Tauchgang noch gut geeignet wäre! Irgendwann hatte ich den Anzug jedoch zerstörungsfrei auf links und mich somit rausgeschält. Ich war froh, ihn endlich wieder los zu sein.

Gelernt habe ich dabei neben den Grundlagen der Strömungsrettung auch, wie wichtig passende Schutzkeidung ist und wie schnell man auch bei „gewöhnlichen“ Tätigkeiten (hier: einfaches schwimmen) von einer Gefahr überrascht werden kann, wenn sich einzelne Faktoren ändern. Einen zu kleinen Neoprenanzug werde ich jedenfalls nie wieder benutzen.

Über firefox05c

Firefighter, Kittyowner, Bagpipeplayer. Querulant. Manchmal bissig, aber im Großen und Ganzen handzahm. Die Themen hier: Feuerwehr - Rettungsdienst - Alltag .
Dieser Beitrag wurde unter Feuerwehr und Rettungsdienst veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

5 Antworten zu Gummiwurst

  1. Norwald schreibt:

    So eine Übung ist immer gut. Man sieht wie schnell man diese Sachen plötzlich braucht.

    • firefox05c schreibt:

      Ja, das ist schon fast unheimlich:
      Woche 1: Großer Rohrbruch im Stadtteil, großflächige Überschwemmung im Wohngebiet.
      Woche 2: Strömungsrettungs- Übung.
      Woche 3: Beim Jahrhundertregen das Geübte in die Praxis umsetzen …

      • anonym schreibt:

        Das ist alles von den Eliten so geplant um die Weltherrschaft zu übernehmen!!!eins!!!!elf!!!!

        (Ernsthaft, hab den anderen Artikel gelesen: Hut ab, so viel Geduld wie Du/Sie haben die wenigsten!)

  2. aponette schreibt:

    Ich hab Tränen gelacht! Und ja, Wasser soll man auch als geübte Schwimmerin nicht unterschätzen….

  3. WPR_bei_WBS schreibt:

    Gott sei dank habt ihr diese Übung nicht heute gemacht 😉

Hinterlasse eine Antwort zu aponette Antwort abbrechen

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..