Schnelles Ende

Die Feuerwehr kommt, wenn Wildtiere in Notlagen, oder anders: in einer Zwangslage sind. Im Zaun hängendes Reh, Wildschwein im Swimmingpool, Fuchs im Keller … sowas halt.

Was die Feuerwehr nicht leistet, sind Krankentransporte für Wildtiere. Das Wisent mit Bauchweh oder die Amsel mit Altersschwäche müssen da leider alleine klar kommen. Wenn trotzdem eingegriffen werden muss, gibt es auch in städtischen Bereichen häufig einen Jagdausübungsberechtigten, der dann verständigt werden kann. Und letztendlich liegt es in der Natur der Natur, dass Tiere natürlich auch mal auf natürlichem Weg sterben.

Umso genervter waren wir, als die Leitstelle unseren Anstaltsleiter anrief und ihm eröffnete, dass womöglich genau so ein Krankentransport mal wieder anstünde: „Ich habe da eine Frau am Rohr, die steht mit ihrem Enkel an der Heisterstraße und hat eine Ratte auf dem Gehweg gefunden, die vielleicht krank ist. Ich soll da jemanden vorbeischicken.“ Der Wachvordere zog die Augenbrauen bis zum Haaransatz hoch: „Eine… Ratte. Echt jetzt? Die weiß aber schon, dass das in der Stadt wildlebende Schädlinge sind?“ – „Ja nun… sie lässt sich nicht abwimmeln…“ Der Chef sank genervt in sich zusammen: „Okay. Wenn es denn sein muss, dann schick uns den Einsatz als ‚Kontrollfahrt‘ rüber, dann schauen wir mal…“ Schimpfend legte er auf: „Hier sind dutzende Kammerjäger damit beschäftigt, täglich diese Viecher zu vergiften und zu vertreiben, und wir sollen die Ratte womöglich in die Tierklinik bringen? Das ist jetzt nicht wahr! Mal sehen, wie wir das der Dame verklickert kriegen.“ Einen Moment später klingelten schon unsere Piepser.

Dazu muss man wissen, dass es nicht nur a) wie oben beschrieben nicht Aufgabe der Feuerwehr ist, Tier- Krankentransporte durchzuführen, sondern zudem b) täglich gleich mehrere dieser Einsätze anfallen und zeitweise bis zu 3 Löschfahrzeuge gleichzeitig beschäftigt sind, die dann natürlich für unsere Pflichtaufgaben nicht zur Verfügung stehen. Jedes mal heißt es dann: 16 Tonnen und 4-6 Mann zur „Einsatzstelle“, Tier einsammeln und oft zur Tierklinik der Stadt (von unserer Wache aus 9km) bringen. Niedergelassene Tierärzte nehmen Wildtiere oft gar nicht erst an. Häufig ruft man uns für Vögel wie Enten, Eichelhäher und Tauben, Nilgänse und Schwäne – wobei wir den Transport größerer Vögel zu vermeiden versuchen und lieber ein geeigneteres Fahrzeug vom Tiefbauamt bestellen, da wir sie im Löschbomber nicht sicher mitnehmen können – bis hin zu Füchsen, Waschbären und Marder. Solche Einsätze dauern in der Regel über eine Stunde. „Menschen retten“ im Wachgebiet müssen in der Zeit eben andere übernehmen. („Bei Ihnen brennt es? Okay. Dauert aber ein paar Minuten länger, weil…“) Ein eigenes Fahrzeug für diese Aufgabe, die nicht unsere ist, beschaffen, wie einige andere Feuerwehren, können wir uns bei einem dreistelligen Personal- Fehlbestand nicht leisten – denn irgendjemand muss das Auto dann ja auch besetzen. In der Tat wird deswegen aktuell sogar ein Auto dieser Art abgeschafft.

Wir besetzten also unser Dienstfahrzeug und fuhren zur angegebenen Örtlichkeit. Von weitem schon wedelte eine blonde, schlanke Frau Ende vierzig mit den Armen, als wir in die Straße einbogen. Mitten auf dem Gehweg lag eine Ratte, die sich nicht mehr rührte, und im am Straßenrand abgeparkten Auto wartete der erwähnte, etwa 6jährige Enkel. „Na, der erzähle ich was!“, brummelte der Chef beim aussteigen.

Doch es kam anders.

Die Mitbürgerin begrüßte uns mit den Worten: „Hallo! Es tut mir leid, dass ich Sie deswegen anrufen musste, aber ich habe kein passendes Werkzeug mit.“ Unser Chef war verdutzt: „Wie? ‚kein passendes Werkzeug‘?“

„Ja, ich habe nichts dabei“, erklärte die Dame breit lächelnd. „Wenn ich einen Spaten oder so im Auto hätte, würde ich sie selbst erlösen. Haben Sie sowas dabei, was Sie mir kurz leihen könnten?“ Chef machte Augen. Die Kollegen, die auch ausgestiegen waren, machten Augen. Ich hatte schon zwei, staunte aber ebenfalls etwas ungläubig. „Äh, ja… klar haben wir … – Ich kann Ihnen gerne eine Schüppe leihen…“, stammelte der verdutzte Wachführer. Die Anruferin war begeistert: „Oh, das wäre toll! Danke!“ Noch etwas unsicher holte einer der Kollegen eine Schaufel aus dem Geräteraum und übergab sie zögernd der Dame. Würde sie nun wirklich … ?!?

Diese drehte sich mit der Schaufel im Anschlag zur immer noch auf dem Gehweg liegenden Ratte um, holte beherzt aus, und „PAMM! PAMM! PAMM!“, schlug sie enthusiastisch auf das bereits fast tote Tier ein! Offensichtlich hatte der nacktschwänzige Nager danach keinen Funken Leben mehr im Leib, aber zur Sicherheit drosch die Frau nach einem kritischen Blick noch ein letztes mal auf den nun platten Pelz, bevor sie den Kadaver endlich ins angrenzende Gebüsch schob und sogar noch etwas Erde und Laub darüberschaufelte, damit die Ratte seine „letzte Ruhe“ fand. Sie hatte sie tatsächlich selbst erlöst!

Wir waren verdutzt, erstaunt, fassungslos ob dieses Aktionismusses. Für Gewöhnlich lassen sich Bürger gerne als „Lebensretter“ und „heldenhafte Helfer in der Not“ feiern, wenn sie irgendeinen Grund aufgetan haben, um uns anzurufen (fickende Igel, hämmernde Spechte, rufende Eulen im Wald, um nur ein paar „Notrufe“ der Vergangenheit zu nennen) – aber mehr Eigeninitiative ist meist nicht drin. Trotzdem tun sie dann so, als müsste man ihnen einen Orden dafür verleihen, kurz mit uns telefoniert zu haben. Diese Dame allerdings zeigte sich willens genug, um die Sache bis zum Ende selbst in die Hand zu nehmen! Respekt. Nach ein paar Worten des Abschieds wandte sie sich ihrem Enkel zu, um ihm alles zu erklären. Der hatte seine Oma wahrscheinlich auch noch nicht so konsequent erlebt.

Wenn wir die Sache übernommen hätten: Ratte in einen Karton, Tierklinik, totspritzen. Wenn sie bis dahin den Streß überlebt hätte. Wäre bestimmt nicht besser. Einfach verschwinden lassen? Vorsicht: Es gibt Bürger, die fragen an der Klinik nach, ob wir das Tier auch abgeliefert haben, und drohen mit der Presse!

Immer noch sehr irritiert, aber nun ohne schlechter Laune, stiegen wir wieder ins HLF und rückten ein.

Der Anstaltsleiter sagte später noch: „… und wenn ich in 7 Jahren in Pension gehe, werde ich mich mit Sicherheit noch an diese Frau erinnern!“

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Firefighter, Kittyowner, Bagpipeplayer. Querulant. Manchmal bissig, aber im Großen und Ganzen handzahm. Die Themen hier: Feuerwehr - Rettungsdienst - Alltag .
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Eine Antwort zu Schnelles Ende

  1. Kirstin schreibt:

    Ich liebe deine Schreibweise, sofort Kopfkino 😁 eure Blicke wären garantiert ein Foto wert gewesen. Super das es noch Menschen gibt die Wissen wo man anfassen muss zum Helfen oder eben die Hilfe eher in kurz und bündig Frieden fürs Tier zu schaffen. Mein Resept für die Courage dieser Oma 💕 und ein herzliches Dankeschön an euch für Schüppchen ausleihen 🤗
    Liebe Grüße, Kirstin

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