März. Immer wieder Regen, vor einigen Tagen sogar etwas Schnee. Die Wiese hinter dem Haus ist schon fast ein Sumpfgebiet: In den Vertiefungen am Rande glitzert das Wasser. Wer einigermaßen Verstand hat, betritt diese Grünfläche nicht ohne entsprechende Schutzausrüstung wie Gummistiefel und einem Sicherungsseil um die Hüfte. Über der morastigen Erde stehen die Grashalme lediglich einige Zentimeter hoch, da der Startschuss zum Wuchern noch nicht wirklich gegeben wurde.
An diesem Tag allerdings wurde dieses Biotop zum Schauplatz der Konfrontation von theoretischer Arbeitsplanung in einem Büro fernab der Routine der Jahreszeiten, in denen der einzige Zugang zur Natur womöglich das Gießen eines Ficus Benjamina ist, mit der Realität von Wetter und Jahresklima in diesem „Draußen“, durch dass man auf dem Weg von der Wohnung ins Büro muss.
Wahrscheinlich schon im letzten Jahr hatte in besagtem Büro wohl schon jemand beschieden, dass an diesem 13. März hinter unserem Wohnhaus der Rasen zu mähen sei. Irgendeine Begründung braucht man ja, um später bei der Nebenkostenabrechnung anführen zu können, dass der Mäher auf jeden Fall auch auf diesem Gelände genutzt wurde. Heute nun hörte ich plötzlich auf besagter Matschfläche das charakteristische Brummen des einsatzbereiten Stehmähers mit 24PS, der zur Arbeit drängte. Morgens hatte es noch einmal kräftig geregnet, daher schoss mir sofort durch den Kopf, was ich dann auch laut ausrief, bevor ich überhaupt einen Blick aus dem Fenster getan hatte: „Schatz!? Die wollen heute doch nicht etwa den Rasen mähen? Das ist doch alles weich!“ Der Blick hinaus bestätigte meine Befürchtung – und noch mehr: Das gelbe Ungetüm hatte sich bereits nach wenigen Metern auf dem Grün in die Wiese eingegraben, und zwar direkt unter unserem Wohnzimmerfenster. Logenplatz für uns! „Der ist doch nicht etwa in unser Blumenbeet gefahren! Nee, oder?“, schimpfte Frauchen los. Ich konnte sie beruhigen: „Nö. Er steht aber direkt davor.“
Angestrengt versuchte der Grünpfleger nun, das Gefährt wieder frei zu bekommen. Der Dreck flog aus dem spärlichen Rasen- Schonprofil bis ans Fenster, als die Räder im Matsch wühlten. Der Pilot schob, zerrte und riss an dem Gerät. Nach einigen Versuchen sah der genervte Mann ein, dass er es alleine nicht schaffen würde, und stellte die Maschine ab, bevor er sich vom Grundstück entfernte. Wenig später kam er mit einem Hilfshoschi, der sich zuvor mit einem Laubgebläse vergnügt hatte, zurück. Zu zweit schafften sie es, das Ungetüm aus dem Loch zu schieben.
Der Rasen-Raser machte einen Turn und fuhr im Bogen weiter, wobei er eine deutliche Spur hinterließ. Nach wenigen Metern allerdings wühlten die Antriebsräder schon wieder durch die Grasnarbe, der gelbe Trümmer hatte sich abermals hochmotiviert eingegraben. Und wieder bekam der Einzelfahrer die Maschine nicht frei und holte seinen Kollegen dazu. Dieses mal bekamen sie aber auch zu zweit den Karren nicht mehr flott.
Beide zerrten und schoben an dem Gerät, dessen Antrieb fleißig Dreck aus der Wiese schaufelte. Erde spritzte, der Motor wummerte, es ging weder vor noch zurück. Auch aus den Büschen herausgebrochene Zweige, die sie unter die Räder steckten, brachten in dem schmierigen Untergrund keinen Erfolg. Das Profil der Räder war nun vollständig eingecremt und hatte überhaupt keinen Grip mehr. Die Wiese sah langsam aus wie ein Truppenübungsplatz.
Ich stand am Fester und schaute den verzweifelten Versuchen der beiden zu, die sich im Schweiße ihrer Füße redlich abmühten. In Gedanken ging ich meinen Keller durch, welche dort befindlichen Werkzeuge und Hilfsmittel ihnen bei ihrem Befreiungskampf vielleicht helfen könnten. Umlenkrolle? Seil? Eine Säge für mehr Gestrüpp? Mit meiner Kettensäge könnte ich vielleicht sogar einen Knüppeldamm für sie bauen! Aber eigentlich ging es mich ja nichts an. Es sollte jedem, der auch nur einen Fuß auf die Wiese setzte, klar sein, dass die halbe Tonne in Gelb dort einsinken würde. Wer trotzdem drauffährt, hat selbst Schuld. Ich setzte mich wieder auf das Sofa.
Doch das Samariter- Syndrom in mir ließ keine Ruhe. Ich hörte immer wieder den Motor vor dem Haus, und immer wieder ging ich Lösungsansätze im Kopf durch. „Was ist los?“, fragte meine Liebste, die merkte, dass ich nervös war. „Es juckt“, antwortete ich. „Ich weiß, dass es mich nichts angeht. Aber ich komme aus meiner Haut nicht raus. Ich will ihnen helfen!“ Sie grinste und verdrehte die Augen, weil sie mich schließlich genau kannte.
Wieder stand ich auf und schaute zum Fenster hinaus. Mittlerweile hatten die beiden Grünlinge einen zweiten Mäher und einen LKW- Spanngurt zum Event- Set hinzugefügt. Den Gurt hängten sie am festgefahrenen Mäher ein, das andere Ende reichte aber leider nicht bis zum Weg am Rand der Wiese. Deshalb fuhren sie nun den zweiten Mäher, mit dem sie den ersten rausziehen wollten, rückwärts zwischen die Büsche am Rande des Grundstückes. „Die wühlen den zweiten Mäher auch noch fest“, kommentierte ich. Am Rettungs- Trecker angeschlagen, versuchten sie nun den Befreiungsschlag. Mit matschigen Hosen, reichlich genervt und ohne Aussicht auf Erfolg ließen sie nun die Achse des zweiten Mähers weitere Kuhlen in die Erde fräsen, ohne dass sich der festgefahrene Klotz rührte. Ich hielt es nicht mehr aus und ging auf den Balkon hinaus, bevor noch ein Schützengraben entstand.
Der Fahrer der Mähmaschine bemerkte mich und kam nach der nächsten frustraten Maschinenbezerrung zu mir herüber. „Entschuldigen Sie, dass wir gerade die Wiese kaputt machen. Ist voll der Mist, der Boden ist so weich…“ Vorsichtig fragte ich, ob ich einen Vorschlag machen dürfte. „Was ist denn, wenn ihr den Gurt am nächsten Baum anschlagt und das Spannschloss als Winde benutzt?“, bot ich als Lösung an. „Ich hätte auch einen Gurt im Auto, mit dem ihr euren dann am Baum anschlagen könntet.“ Er sah fragend zum Ort des Happenings rüber, wo sein Kollege schulterzuckend stand, dann wieder zu mir. „Hmm…. Ich bin hier ja im Grunde ‚Einzelkämpfer‘. Den da drüben“, er deutete über die Schulter auf den Kollegen, „kannst du hierbei leider für nix gebrauchen.“ Mir fiel ein, dass in der ausführenden Firma auch Menschen beschäftigt wurden, die über die kognitive Grundkonfiguration hinaus nicht viele Features zu bieten hatten, was aber bei vielen ihrer Arbeitsanforderungen kein Problem darstellte. „Wie meinst du das jetzt genau mit den Gurten?“ Er konnte sich den Vorschlag noch nicht so recht vorstellen. Wahrscheinlich hatte er solche Spanngurte bisher tatsächlich nur zur Sicherung der Mäher auf einem Anhänger genutzt. Dass es dem Spannschloss völlig egal ist, ob man damit an einer aufgeladenen oder an einer festgefahrenen Maschine zerrt, wurde ihm jedoch vielleicht langsam klar.
Aber ich wollte hier nicht einfach nur klugscheißen. „Hömma, ich hole kurz ’nen Gurt und komme dann rum“, teilte ich ihm mit. Offensichtlich war er angesichts der Gefahr, den etwa 10 000€ teuren Karren zurücklassen zu müssen, dankbar für jede Hilfe, und nickte zustimmend.
Während meine Angetraute mit dem Augenrollen kaum noch nachkam, zog ich mir Arbeitsschuhe an, holte das angedrohte Hilfsmittel und ging ums Haus herum zur Wiese. Schnell war mithilfe meines mitgebrachten Gurtes der andere am Baum angeschlagen. Interessiert ließ der Gartenpflüger mich gewähren, als ich nun dann das Spannschloss benutzte, um den Stehmäher aus seinem Loch zu ziehen. „Nicht, dass dir dein Gurt reißt“, gab er zu bedenken. Ich aber war zuversichtlich, denn ich schätzte den Mäher auf etwa 500kg: „Mein Gurt ist auf 2 Tonnen ausgelegt, und ich habe ihn doppelt genommen. Deiner schafft sogar 10 Tonnen. Das sollte wohl reichen!“ Zwar konnte ich nur etwa 50cm Gurtband in die Spindel ziehen, bevor im Spannschloss keinen Platz mehr war, aber das reichte schon, um die Arbeitsapparatur frei zu bekommen. Die Arbeiter begnügten sich nun vernünftigerweise damit, diese Maschine schnellstmöglich von der Wiese zu schieben, die nun größere Kampfspuren aufwies, und brachen ihren Arbeitsauftrag ab. Dann erzählte der Maschinenführer mir, dass es ihm bewusst sei, dass solche Aktionen eigentlich hirnrissig sind, er aber leider bei solchen Aktionen fremdgesteuert ist: „Der Chef hat halt festgelegt, dass heute Rasen gemäht wird. Da kann ich leider nicht sagen: ‚Nö, heute bleibe ich drinnen‘. Das interessiert da keinen. Es ist das Gleiche mit dem Winterdienst“, führte er weiter aus. „Die schauen zwei Tage vorher auf den Wetterbericht, und bestimmen dann: Ihr macht Streu- und Räumdienst. Wenn es dann doch 5 Grad plus hat und trocken ist, werden wir mit unseren Treckern mit Räumschild und Streugut von den Anwohnern natürlich blöd angeguckt.“ Er seufzte. „Aber da haben wir leider kein Mitspracherecht.“
Es ist natürlich äußerst dämlich, so etwas wie Rasen mähen nicht nach Bedarf zu machen, sondern einfach im Kalender vorab festzulegen, ohne bei widrigen Umständen zu reagieren. Aber in manchen Jobs hat der, der eine Arbeit jeden Tag verrichtet, trotzdem kein Mitspracherecht – und die Entscheidungen werden von Menschen getroffen, die diese Arbeiten nie gemacht haben. Das gibt es auch andernorts – und ist bisweilen sehr frustrierend und ermüdend.
Machste nix.