Zufrieden betrachtete ich mein Werk: Die alte Kreissäge meines Vaters sollte ich online annoncieren, also hatte ich an diesem sonnigen Nachmittag einige Fotos gemacht und sie in einer Internet-Kleinanzeige zum Verkauf gestellt. Wenn ich am Wochenende schon mal in meiner „alten Heimat“, wo ich mich auch nach 20 Jahren „Exil“ immer noch bei der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr verdinge, zu Besuch war, konnte ich auch meine Eltern bei diesem „Internetz- Zeug“ unterstützen. Plötzlich wurde ich durch den Piepser an meinem Gürtel aufgeschreckt, der nach dem Loskrakehlen den Brandmelder- Einlauf aus einem Wohnheim anzeigte. „BMA. Toll“, entfuhr es mir, denn allen Erfahrungen nach sind solche Alarme zu 97% „blind“: Böswillig, fahrlässig oder durch technische Defekte ausgelöst. Trotzdem kann man nicht einfach von einem Fehlalarm ausgehen, also lief ich zum Auto und machte mich auf zum Gerätehaus der Feuerwehr.
Bis also möglicherweise ein Fehlalarm bestätigt werden kann, geht man natürlich davon aus, dass es auch wirklich brennen könnte. Allerdings ist man beim Auslösen einer automatischen Brandmeldeanlage aus vorgenannten Gründen weniger hektisch als zum Beispiel bei einem durch einen Notruf bestätigten Brand. Immerhin wusste ich, dass sich in dem Wohnheim mehrere Dutzend Personen aufhalten mussten, von denen tagsüber ein Feuer höchstwahrscheinlich schnell entdeckt und zusätzlich per Telefon gemeldet würde.
Am Feuerwehrhaus kamen in kurzer Folge mit mir auch weitere Kollegen an, mit denen ich gemeinsam in den Umkleideraum lief. „Mal wieder die BMA im Heim“, rief einer der Kollegen, während er sich die Überhose hochzog. „Dort war ja auch schon lange nichts mehr…“ In der Vergangenheit waren wir nämlich schon oft aufgrund der typischen Fehlalarme dort gewesen. Nach dem schnellen Anziehen von Stiefeln, Hose und Jacke schnappte ich mir den Helm und sprintete zum Löschfahrzeug. Weil bisher nur zwei ältere Kameraden in der Gruppenkabine saßen, die kein Atemschutzgerät mehr tragen durften, setzte ich mich auf einen der beiden mit Atemschutzgerät ausgestatteten Plätze und fing an, mich an die Flasche zu fesseln. Neben uns fuhr der ELW bereits mit dem Chef und einem Führungsgehilfen aus der Halle und machte sich mit Blaulicht und unserem Werbesong zum Erkunden auf.
„Komplett?“, fragte der Maschinist nach hinten, während er den Motor startete. „Nein, warte noch“, antwortete einer der älteren Kollegen. „Wir brauchen noch einen zweiten Geräteträger für den Angriffstrupp!“ Einige Augenblicke später enterten noch zwei Löschknechte das Gehäuse, von denen sich einer auf den verbliebenen Platz mit dem eingebauten Schnüffeltornister setzte. Dieser Kamerad war einer der jüngeren, die noch nicht so viel Erfahrung mitbrachten. Um einen blinkenden Feuermelder an einer Zimmerdecke zu suchen sollte es aber reichen, dachte ich mir. 😉 „Komplett! Wir können!“, bestätigte ich nach vorne, das Fahrzeug setzte sich in Bewegung.
Der Anfahrtsweg war nicht besonders weit, und so hörten wir schon etwa eine Minute später die hektische Meldung des bereits eingetroffenen Einsatzleiters aus dem Funkgerät, die uns das Adrenalin in die Blutbahn schießen ließ: „Rückmeldung Wohnheim: Zimmerbrand im 2. OG in voller Ausdehnung! Zweiter Zug zur Einsatzstelle!!“ Das Heim war ausgelegt für etwa 300 Personen. Kein Wunder, dass der Einsatzleiter sofort Verstärkung über die alarmierten Kräfte hinaus anfordert! Während ich mir die Gummimaske aufsetzte, fragte ich ungläubig nach vorne zum Gruppenführer, in der Hoffnung, dass irgendwo im Kreisgebiet noch ein Paralleleinsatz lief: „Ähm… War das jetzt von UNSERER Einsatzstelle?“ – „Ja sicher“, kam die Antwort. „Ich sehe auch schon etwas Rauch!“
Der Nachteil an kurzen Einsatzfahrten ist, dass man kaum Zeit hat, sich auszurüsten: Maske auf, Helm übergestülpt und das Schutztuch geschlossen, das Funkgerät aus der Halterung heranangeln. Beim Hineinstopfen in die Brusttasche ist fast immer die Maske im Weg … Kurze Sprechprobe: Gerät funktioniert. Schon fuhren wir vor das Wohnheim! Wir sprangen aus dem Löschbomber und ich schaute kurz nach oben: Dicker, schwarzer Rauch quoll aus einem der oberen, altertümlich anmutenden Fenster! Es war ein ehemaliges Internatsgebäude aus den 20er Jahren. Zwar ist es vor einiger Zeit mal saniert worden, aber verwinkelt und unübersichtlich war es trotzdem. Dort konnte ein Feuer auch schnell mal in den alten Dachstuhl laufen. Wenn das passierte, wäre die Bude weg.
Während mein Spannmann noch seine Ausrüstung ordnete, fledderte ich zwei Schlauchtragekörbe und eine Axt aus den roten LKW. Das alles stellte ich zunächst vor den Hauseingang. Der Einsatzleiter, der von der ersten Erkundung zurück kam, lief auf uns zu, während ich mir die Handschuhe überstreifte: „Laut Aussage eines Betreuers sind alle Bewohner raus. 2. OG rechts ist der Brandraum!“ Ich nahm ihm noch seine Handlampe ab, bevor wir ins Haus gingen, da ich auf der kurzen Anfahrt vergessen hatte, mir eine aus den Fahrzeugbeständen zu zupfen. Mein Truppkollege war nun ebenfalls fertig aufgehübscht. Schnell noch unsere Namensmarken bei der Atemschutzüberwachung abgegeben, los ging’s! Während wir unsere Schlauchleitung an den Verteiler kuppelten, den andere bereits für uns in Position gebracht hatten, wurde eine hustende Mitarbeiterin an uns vorbeigeführt. Rauchgasvergiftung …
Eilig, aber ohne Überstürzung, stiegen wir die alten Steintreppen hinauf. Es nutzte keinem, wenn wir uns aufgrund von Hektik hier auf die Schnauze legen. Wandhydranten gab es nicht, also mussten wir die Schlauchleitung durch das komplette Treppenhaus selbst verlegen. Oben vor der glücklicherweise geschlossenen Rauchabschlusstür stand unser Gruppenführer und hielt gerade einen Security- Menschen davon ab, mit einem Feuerlöscher in den Rauch hinter der Tür zu laufen. Wie sich später herausstellte, hatte er kurz zuvor bereits einen Löschversuch unternommen – und nun die typischen „Kerzen“ aus Ruß unter der Nase, die darauf hindeuten, dass er mal einem Arzt vorgestellt werden sollte. Mein Partner zog nun aus dem Tragekorb eine ordentliche Schlauchreserve und kuppelte das Strahlrohr an. „Angriffstrupp: Wasser marsch!“, rief ich ins Funkgerät. Es dauerte eine Weile, bis sich die Därme auf der Treppe zuckend und schlagend mit Wasser füllten. Schnell noch die Luft aus der Leitung gelassen und die Lungenautomaten an die Maske angeschlossen, schon knieten wir vor der halb geöffneten Flurtür und schauten in ein schwarzes Loch. Unser Gruppenführer zog sich mit dem Sicherheitsmann zurück: „Der Brandraum ist rechts durch den Zwischenraum, dann links“, gab er uns noch mit. Der Flur hinter der Tür war mit pechschwarzem Rauch gefüllt. Nachdem ich die Schlauchleitung ein Stück hineingezogen hatte, reichte der Lichtfinger unserer Handlampe nur noch etwa einem halben Meter weit. Wir tasteten uns vor und versuchten, im Dunkel den beschriebenen Weg zu finden. In Rauch eingehüllt machte sich eine merkwürdige Stille um uns breit. Nur unsere Lungenautomaten zischten unregelmäßig. Nach einigen Metern und einem Mauervorsprung weiter sah ich plötzlich etwas leuchten: „Hier! Gefunden! Da vorne ist das Feuer“, informierte ich meinen Partner, der hinter mir den Schlauch nachzerrte, damit wir weit genug vordringen konnten. Schon knieten wir vor dem Feuer, in dessen Nähe durch die Thermik die Sicht etwas besser war. Am Boden und am Türrahmen konnte ich Flammen erkennen. Auch ein Kleiderschrank, der kurz hinter der Tür stand, brannte. Die Zimmertür war bis auf einen etwa 30cm breiten Holzrest, der noch auf der Scharnierseite hing, weggebrannt. Von vorne nach hinten löschte ich die Brandstellen mit ein paar gezielten, kurzen Sprühstößen aus dem Strahlrohr ab. Sofort schlug uns heißer Wasserdampf entgegen und nahm uns erneut die Sicht. In dem Raum mussten höllische Temperaturen herrschen. Ich schloss das Strahlrohr wieder, wenige Augenblicke später hatte sich der Wasserdampf etwas gelichtet. Wir wischten uns die beschlagenen Maskenscheiben sauber, um wieder ein wenig sehen zu können. Im Rauch konnte man nun noch einige kleinere Flammen erkennen, die gerade reichten, um den Türbereich etwas zu beleuchten. Dahinter war wiederum alles schwarz. „Um den Rest kümmern wir uns gleich“, rief ich meinem Kollegen zu. „Sind nur Nachlösch- Arbeiten. Lass uns erst mal für Belüftungsöffnungen sorgen, damit die Hitze und der Rauch abziehen können.“ Es ist schon erstaunlich, mit wie wenig Wasser sich die meisten Zimmerbrände löschen lassen!
Mein Kamerad übernahm das Strahlrohr und zog die Leitung weiter in den Raum, um weitere Brandnester ablöschen zu können. Ich tastete mich voraus, um die Fenster zu finden. Wir mussten für klarere Luft sorgen, um den offensichtlich verwinkelten und zugestellten Raum nach Personen absuchen zu können. Gelb schimmerte kurz darauf vor mir Licht durch kleine, bernsteinfarben beschlagenen Fenster. Sämtliche Gläser in den sechsfach aufgeteilten Fenstern waren von der Brandhitze gesprungen. Mit einem Scheppern fielen die Gegenstände davor zu Boden, als ich beide Flügel öffnete. Ebenso bei einem ein wenig weiter befindlichen zweiten Fenster. Tageslicht kämpfte sich durch die grauen Schwaden. Die heiße Luft strömte hinaus und zog frische aus dem Treppenraum nach, so dass der Rauch schnell dünner wurde. Während der Kollege mit dem Ablöschen weiterer Flammen, die hier und da noch züngelten, beschäftigt war, konnte ich nun zum ersten mal einige Details in dem Raum erkennen und begann sofort mit der Personensuche.
In Wohnheimen dieser Art gibt es häufiger auch Besucher, die gleich mehrere Tage bleiben, aber auf keiner Liste auftauchen. Die Beschäftigte sagte zwar, dass sich niemand mehr in diesem Gebäudetrakt befinden sollte, aber man weiß ja nie … Etwa anderthalb Meter hinter mir, gegenüber den Fenstern, stand ein Doppelstockbett in dem engen Raum. Oben war nur noch das ausgeglühte Drahtgeflecht zu erkennen, welches mit ein paar Resten einer verbrannten Matratze belegt war. Auf dem unteren Bettgestell waren das Kopf- und das Fußende einer Matratze vorhanden, das mittlere Drittel war ebenfalls komplett weggebrannt, so dass der Blick auf den Boden darunter möglich war. Ich ging an der Fensterwand entlang, um weiter zu erkunden. Neben dem ausgebrannten Bettgestell, quasi vor Kopf, stand ein weiteres Doppelstockbett. Hier waren kaum Verbrennungen zu sehen: ein am Bettpfosten hängendes Kleidungsstück wurde noch von kleinen Flammen und etwas Glut benagt, und auf dem unteren Bett ein paar Löcher im Kopfkissenbezug. Daneben: EIN KÖRPER!!!
„Person gefunden! Person gefunden! Rettungsdienst zur Rauchgrenze!!!“, rief ich hektisch in das Funkmikrofon. Vor mir erkannte ich auf dem Bett einen recht kleinen Körper, wahrscheinlich ein Mädchen. Der Größe nach vielleicht zehn oder zwölf Jahre alt! Die dunkelgraue Haut pellte sich an allen unbedeckten Stellen, wie am Hals und an den Händen, und hinterließ große, helle Flecken, das Gesicht war grau vom Ruß. Bekleidet war sie mit irgendeinem hellen Oberteil, vielleicht einer Bluse, und einer Jeans. Sie lag vor mir, als hätte sie auf der Bettkante gesessen und sich nach hinten fallen gelassen. Ich griff mit der Linken ihr Handgelenk, aber es rutschte ein Stück durch meinen Handschuh. Leuchtend- rosa Fleisch wurde sofort sichtbar. Ich griff noch mal fester nach, zog den Oberkörper hoch und umfasste ihn mit meinem rechten Arm, bevor ich auch mit der linken Hand den Torso griff und den Körper vor meine Brust drückte. Einen Moment dachte ich darüber nach, das Mädchen einfach über die Schulter zu werfen, um sie hinaus zu tragen. Aber damit hätte sie einen Meter höher im Raum wahrscheinlich gleich etwa 150 bis 200° mehr Hitze abbekommen! Sollte sie bisher noch leben, würde sie dann weitere schlimme Verbrennungen erleiden, jeder Atemzug würde die Lunge weiter kochen. Falls sie noch lebte …
Sie musste möglichst weit unten bleiben. Mein Truppmann ließ das Strahlrohr fallen: „Warte, ich helfe dir“, bot er sich an. „Gib mir die Arme!“ Ich stand aber bis zur Oberkante der Unterlippe voll Adrenalin und hatte den Körper schon fest an mich gedrückt: „Nein nein, weg da! Die muss hier raus!“ Er stolperte vor mir über die Brandtrümmer hinweg: Ein Stuhl stand im Weg, die Deckenlampe war herunter gefallen. Schnell beseitigte er die Hindernisse und lief mir voran, auch, weil es in dem Vorraum noch ziemlich verraucht und dunkel wie im Tunnel war, und ich mit dem Menschen im Arm nicht auch noch nach dem Weg tasten konnte. Ich hielt den Körper umschlungen, und ihre Beine zwischen meinen, schleifte ich sie gebückt hinaus. (Wenn das mein Orthopäde gesehen hätte…) Im Flur vor dem Brandraum, wo es erheblich weniger heiß war, ließ ich sie kurz los, um sie in eine günstigere Position zu bringen. Nun griffen mein Kamerad und ich je ein Handgelenk und zogen sie über den Linoleumboden bis ins Treppenhaus, wo bereits einige weitere Kollegen auf ihren Einsatz warteten. Von wegen, „alle Bewohner sind raus“!
Im Treppenhaus überließen wir das Mädchen den Kollegen und liefen sofort wieder zur Brandstelle. Wo eine Person war, konnten noch mehr sein! Im Schlafraum zurück, leuchtete der Truppmann unter die Betten, ich schaute auf dem Bett über der Fundstelle des Mädchens nach. Noch immer hielt sich Rauch in der Luft. Ich erkannte eine Silhouette, die für eine Bettdecke etwas zu groß war! „Noch ein Kind!“, schoss es mir durch den Kopf. Bei näherem Hinsehen entpuppte sich die Form aber zum Glück nur als ein Haufen Kuscheltiere … Als wir in dem engen Zimmer auch im Schrank und in der Niesche zwischen den Betten kontrolliert hatten, suchten wir einen Nebenraum hinter einer Tür ab, die an der Oberfläche noch etwas brannte. Durch den dort noch sehr dichten Rauch konnte ich Fliesen erkennen und kleine Plastikfläschchen: „Das ist das Bad“, sagte ich zu meinem Kollegen, der hinter mir stand und daher wahrscheinlich noch weniger durch die dicken Schwaden sehen konnte. Schnell war auch dieser kleine Raum abgesucht: Ohne einen Fund.
Der Rauch verzog sich weiterhin, so dass man mittlerweile quer durch den ganzen Schlafraum schauen konnte. Die Suche war ohne weitere unangenehme Überraschungen abgeschlossen. „Legen wir ab?“, fragte der Kamerad, womit er das Atemschutzgerät – und damit das Ende unseres Einsatzes – meinte. „Ja. Ich denke, wir sind hier fertig. Den Rest soll ein frischer Trupp machen“, gab ich zurück. In den wenigen Minuten des Einsatzes hatte ich schon die Hälfte des Luftvorrates verbraucht. Meine Kleidung fühlte sich an wie eine Sauna, der Schweiß rann mir in der Maske herunter, und meine Bronchien taten weh wie nach einem 400- Meter- Sprint. Ich war „durch“. Man wird nicht jünger.
Wir ließen die Schlauchleitung zurück und unterwiesen im Treppenhaus den neuen Trupp, der schon drauf und dran war, eine zweite Leitung zu legen. „Ihr könnt unser Rohr haben“, erklärte mein Truppmann. „Sind noch Nachlöscharbeiten, der dickste Rauch ist raus. Niemanden mehr gefunden. Wir legen ab.“ Ein kurzer Blick durch das Treppenhaus: Das Mädchen, welches wir hier abgelegt hatten, war erwartungsgemäß schon dem Rettungsdienst zugeführt worden.
Unten vor dem Eingang lief eine Menge behelmtes Volk umher: Neben unserem Löschzug war auch ein Teil der Verstärkung aus den umliegenden Dörfern nun eingetroffen. Der große Überdrucklüfter stand vor dem Eingang, es wurden Leitungen zur Wasserversorgung gelegt, und die Polizei nahm erste Aussagen und Hinweise von den Beschäftigten des Heimes auf. Wir trafen auf den Einsatzleiter, und während der Kamerad schon sein rußbedecktes Atemschutzgerät tauschen ging, unterhielt ich mich kurz mit dem „Einsatzstellen- Choreographen“: „Und?“, fragte ich ihn. „Wie alt war die Person etwa, die wir rausgeholt haben?“ Mir war eigentlich klar, dass sie höchstwahrscheinlich schon tot war, als wir sie fanden. Für eine ausreichende Untersuchung bleibt in so einer Situation aber natürlich selten die Zeit, also geht man erst einmal davon aus, dass der gefundene Mensch noch lebt und schleppt ihn raus. „Wissen wir noch nicht. Angeblich ist die Bewohnerliste vollständig. Sie liegt da hinten, unter einer Decke, hinter dem RTW.“ Ich ersparte es mir, selbst zu sehen, ob ich das Alter einschätzen könnte. Kleine Hautfetzen klebten noch an meinen Handschuhen. Ich rieb sie ab. „Aber es war ein Kind?“, fragte ich bange. „Keine Ahnung“, sagte der Chef leise. „Ich habe nicht so genau hingesehen…“ Das war verständlich.
Ich ging zum LF, stieg ein und erkundigte mich bei meinem jungen Kollegen, der mit hochrotem Kopf und schwitzend dort saß, nach seinem Befinden. „Alles gut bei dir?“ – „Ja. Hmm. Geht schon. Iss‘ Okay.“ Er bot mir eine Plastikflasche mit Mineralwasser an. Ich hatte sie dringend nötig, wenn ich nicht wollte, dass ich gleich womöglich Schlangenlinien laufe. Durch die dicke Einsatzkleidung schwitzt man so stark, dass man auch mal Kreislaufprobleme bekommen kann. „Hattest du schon mal eine Menschenrettung?“, fragte ich weiter. „Nein. Also, im Feuerwehrdienst noch nicht. Ich fahre ja nebenbei etwas Rettungsdienst.“ Wir nahmen erst mal einen kräftigen Schluck. Immerhin konnte ich davon ausgehen, dass er schon mal mit dem einen oder anderen Toten zu tun hatte. Ob von dem Erlebten etwas bleibt, würde sich in den nächsten Tagen herausstellen.
Später hörte ich, dass das Opfer doch kein Kind war. Sie war eine junge Frau, um die Dreißig, die ihr Zimmer in Suizidabsicht selbst angezündet hatte. Den Verdacht hatte ich schon, als ich sie so auf der Bettkante fand: Kein Fluchtversuch … Allerdings war sie tatsächlich ziemlich klein.
Nachdem die Brandstelle „kalt“ war, fing die KriPo unverzüglich mit den Ermittlungen an. Der Sachverständige erkannte sofort, dass es zwei Brandstellen im Raum gab. Der Umriss der Frau war noch deutlich auf der ansonsten unversehrten Matratze ihres Bettes zu erkennen, da sich um sie herum Ruß abgesetzt hatte. Das Bett daneben war fast vollständig abgebrannt. Als der Feueralarm ausgelöst hatte, wurde der Sache durch einen Security- Mitarbeiter nachgegangen. Er fand den brennenden Raum vor und versuchte noch einen Löschversuch mit dem Feuerlöscher, der aber aufgrund der Brandintensität nicht zum Erfolg führte. Währenddessen leiteten die übrigen Mitarbeiter die Räumung des Gebäudes ein. Bis auf vier Bewohner waren alle anwesend, und ein Zeuge behauptete bei der Kontrolle, alle vier fehlenden wären zum Stadtbummel unterwegs. Er täuschte sich. Auf Stadtbummel befanden sich nur drei Bewohner …
Nach dem Einsatz, im Standort, wies der Stadtbrandmeister die bei der Bergung direkt beteiligten noch auf die Anzeichen einer Belastungsstörung hin. Auch ein vertrauliches Gespräch bot er für den Bedarf an.
Mittlerweile muss man nicht mehr zur Flasche greifen, um die Bilder wegzuspülen.
…hoppla: da ich parallel noch andere Blogs mit ähnlichem Betätigungsfeld lese, habe ich Deinen Blog verwechselt. Aber nur in der Form, dass ich dachte: „schön, endlich mal wieder ein Beitrag !“ – jedoch betrifft es NICHT Deinen Blog, da gab’s ja monatlich immer wieder was zu lesen !
Bitte entschuldige deswegen meinen ersten Satz !
BB
Nun, ich habe auch Phasen, in denen ich wenig schreibe. 😉
Lieber firefox,
zu erst mal: schön, dass es wieder neue Einträge in Deinem Blog gibt ! Einige Zeit lang war ja etwas Ruhe eingekehrt (absolut verständlich !) . . .
Ich habe eine Frage zu diesem traurigen Einsatz:
Du schreibst: „…Schnell noch unsere Namensmarken bei der Atemschutzüberwachung abgegeben, los ging’s!…“ – was bedeutet das konkret ?
Wird damit gewährleistet, dass man weiß, wer sich wann wo aufhält ?
Ich bin Laie, deswegen diese Art der Frage – viele Grüße
BB
Es gibt verschiedene Systeme zur Überwachung von Atemschutzgeräteträgern im Einsatz. Damit soll verhindert werden, dass jemand seinen Luftvorrat vergisst oder dass ein Trupp unbemerkt verloren geht.
Bei diesem System hat jeder Atemschutz- taugliche Kamerad eine Namensmarke aus Kunststoff, die an seiner Einsatzjacke hängt. Geht er nun zum Einsatz vor, gibt er die Marke bei dem Kollegen ab, der die Überwachung mit einer Schreibtafel durchführt. Dieser notiert sich die Uhrzeit und den Flaschendruck bei Beginn des Auftrages. Nach einigen Minuten fragt er über Funk den eingesetzten Trupp nach seinem aktuellen Flaschendruck und errechnet dann aus der Einsatzzeit und dem verbrauchten Druck die Zeit, wann der Trupp spätestens den Rückweg antreten muss, um auf jeden Fall noch genug Atemluft zu haben. So kann es nicht passieren, dass der Träger „im Eifer des Gefechtes“ seine Luft unbemerkt verbraucht, bevor er wieder raus ist.
Wow, das ist mal wieder ein richtig böser Gänsehaut-Artikel. *brrr*
BMA… Jaja… Die kennen denke ich die meisten Feuerwehrmenschen ganz gut. Meistens in Industriebetrieben… Weil grad wieder mal irgendwo der Elektriker dran ist oder so… Und immer wieder der Gedanke im Hinterkopf: „Sicher wieder Fehlalarm…“
Und man sieht – die tragischen Sachen, die großen Brände, wo auch mal wer dran beteiligt ist, sie passieren nicht nur bei der Stadtfeuerwehr, wo eh alle beruflich sind. Nein, tatsächlich kümmern sich auch um die tragischsten Geschichten manchmal die freiwilligen Mitarbeiter auf dem Land…
Gruselig wie du das geschrieben hast. Aber wirklich wirklich toll. Eine Geschichte, die mitreißt…
Vielen Dank mal wieder für diesen herzzerreißenden Einblick in dein Leben bei der Feuerwehr.
Ich habe versucht, es realistisch wiederzugeben. Da manche Einsätze nicht sehr schön sind, bleibt so ein Gefühl nicht aus.
Aus persönlichen Erfahrung (zufälligerweise auch noch in firefox’s Sprengel) kann ich sagen, dass die BMAs auch recht gerne in Heimen losgehen. Sehr gerne z. B., weil Oppa Paschulke mal wieder rauchen wollte – und das lauschigen Plätzchen unter dem Rauchmelder für passend hält.
Und wie ich aufgrund interessierter Recherche gesehen habe, ging vor ca. drei Wochen in einem anderen Heim in firefox’s Heimatgemeinde die BMA ohne gefährlichen Grund los. Also nicht immer nur die Industriebetriebe. 🙂
Auch beliebt in einem der Seniorenheime: Omma versucht zu kochen…
Was ich jetzt nicht ganz verstanden habe: ist die suizidale Frau der 4. Bewohner gewesen oder wurde noch ein weiterer, unbeteiligter Mensch in Mitleidenschaft gezogen?
Hat die Frau überlebt?
Vielen Dank für den direkten Einblick in einen Rettungseinsatz. Ich sehe täglich Bilder davon, aber die dahinter stehenden Gedanken bleiben verborgen.
Die Frau war die vermeintlich 4. in der Gruppe, die auswärts sein sollte. Nein, sie hat es nicht überlebt und war schon tot, als wir sie rausgezogen haben.
Oh Mann. Beim lesen dachte ich erst „vielleicht was lustiges, Mäuse nagen Kabel an und lösen BMA aus oder so“, dann „Ok es brennt aber wohl ohne Menschenleben in Gefahr, wird interessant wie die da vorgehen“. Dann kam die Stelle „Person – Kind“ und ich dachte nur noch „SCHEISSE“. Ich habe es eben schon geschrieben aber schreibe es gerne nochmal: Hut ab und meinen tiefen Respekt für euren Einsatz, auch und speziell denen die ehrenamtlich auf gut Deutsch ihren Arsch riskieren um anderen zu helfen.
Es gibt ja leider immer wieder und wohl auch immer mehr aggressive Schaulustige bei Einsätzen, fehlende Rettungsgassen oder gar Angriffe auf Feuerwehrleute. Vielleicht sollte manch einer von diesen Idioten mal Artikel wie diese hier lesen und mal kurz darüber nachdenken was die Feuerwehr eigentlich leistet (trotz zu wenig Personal, zu wenig Geld usw, der übliche Mist halt) und dass auch er, seine Frau, seiner Kinder mal in so einer Situation kommen können. Ob er dann noch immer agressiv rumpöbeln würde weil der Feuerwehrmann ihm seine Filmaufnahmen vom Einsatz versaut (sowas soll ja vorkommen) wenn eine Person die ihm wichtig ist gerade irgendwo in einer brennenden Wohnung liegt?
Ich hoffe du, der junge Kollege von der FF und alle anderen Beteiligten haben die Sache gut verarbeitet. Vielleicht schreibe ich Schwachsinn, aber vielleicht macht die Tatsache dass kein Kind sondern ein Erwachsener gestorben ist der sterben wollte es etwas leichter die Bilder wieder zu vergessen.
Zumindest für mich ist das Alter ein Unterschied: Je älter ein Opfer ist, desto einfacher fällt es mir, den Tod „einfach hinzunehmen“. Auch ob jemand an seinem Tod selbst Schuld trägt (Suizid, Raser, …), oder ob die Ursache ein Unglück oder eine Krankheit ist, ist für mich ein Unterschied.
Übrigens sind die weitaus meisten Feuerwehrleute in Deutschland Ehrenamtliche (1,34 Mio Freiwillige zu nur 40 000 Beruflichen!). (Und so manches mal, wenn mir wieder irgendein Idiot kein Platz machen wollte, habe ich gedacht: „Mach Platz! Vielleicht fahren wir gerade zu deiner Frau!“)
Denken ist ja voll ok, aber bitte nicht laut (durch die Anlage) aussprechen – bei so mancher Frau wird die Straße nachher noch extra blockiert 🙂
Eine eindrückliche Schilderung, warum „ist ja nur BMA“ ein gefährlicher Trugschluss sein.
Mir wäre als Angriffstrupp allerdings ziemlich mulmig, wenn ich im Erstangreifer als Angriffstrupp ohne brauchbaren Sicherungstrupp sitzen würde (falls ich das richtig gelesen habe).
Es waren zeitgleich ja mehrere Löschgruppen unterwegs, und nur wenige Momente, nachdem wir angefangen hatten, die Leitung ins Treppenhaus zu verlegen, war unser drittes Fahrzeug da. Es reicht, wenn der Sicherungstrupp bereit steht, wenn wir in den verrauchten Bereich gehen. Zum Schläuche legen brauche ich den noch nicht. 😉
„Gefährlich“ wird der Trugschluss „BMA=Fehlalarm“ nur dann, wenn man auch entsprechend handelt und/oder Zeit vertrödelt.
Klar, wenn wie bei euch genug Fahrzeuge anrollen, ist das natürlich kein Problem.
Unsere Wehr fährt z.B. BMA immer alleine (bei Alarmerhöhung dazugerufene Kräfte brauchen dann entfernungsbedingt einige Minuten mehr für die Anfahrt) und das LF mit dem 2. ausgerüsteten AGT-Trupp ist nach TLF und DLK erst das dritte Fahrzeug, deswegen gilt eine „PA only“-Regel für den Erstangreifer (Staffel) – auch bei BMA.
Bis der AT sich dann im Falles des Falles zum Ort des Geschehens vorgekämpft hat, hat der ST idealerweise die Wasserversorgung Hydrant>Fahrzeug aufgebaut und sich als SiTr ausgerüstet. Das wird deswegen auch drillmäßig regelmäßig geübt.
Also fängt euer AT auch schon seine Arbeit an (den Angriff bis zur Rauchgrenze vorbereiten), bevor der SiTr sich klargemeldet hat. 😉
Bei einem Heim für etwa 300 Bewohner wird natürlich etwas großzügiger alarmiert wie für einen Bürotrakt abends um 21.00Uhr. 😉
Kann man eigentlich in etwa sagen bis wie viel Kilo ein/e Feuerwehrmann/frau einen Menschen alleine retten kann? Und ab wann man eine zweiten Kollegen bräuchte?
Du hast ja geschrieben, dass du die kleine Frau alleine aus dem Gebäude verbracht hast. Ich stelle mir das ziemlich anstrengend vor, wenn man mit PA und PSA (alleine) eine Menschenrettung vornimmt.
Nun, ich habe die Frau (vielleicht 60kg?) alleine bis aus dem Zimmer schleppen können, und das auch nur unter einem recht festen Griff (mit beiden Armen den Rumpf umschlossen), allerdings in gebückter Haltung. Danach konnte (und musste) der Kollege mir schon helfen. Es war nur eine Strecke von etwa 6 Metern, aber ziemlich anstrengend, da der Gang eng war und einige Hindernisse im Weg standen: Brandschutt und Taschen am Boden, ein kleiner Tisch, der den Gang verengte … Das würde ich über eine Strecke von zum Beispiel 15 Metern sicherlich nicht mehr schaffen. „Richtwerte“ gibt es dafür nicht, da es immer auch von vielen Faktoren, in erster Linie der Kraft des Rettenden und der Möglichkeit, die Person richtig zu fassen, abhängt. Bei Übungen wird gerne eine Puppe mit 70 bis 75kg benutzt, die dann aber zu Zweit über einen oft glatten Boden transportiert wird (geschleift/ getragen/ auf einem Tuch gezogen…).
Vielleicht versuchst du einfach mal, eine Freundin ein paar Meter über einen Teppich zu ziehen, dann hättest du schon mal einen Eindruck davon, wie es unter „idealen Bedingungen“ wäre … 😉
Wieder ein interessanter, wenn auch trauriger Artikel!
Aber eine Frage habe ich als Fachfremder dann doch noch: Als ihr den Hauptbrand gelöscht habt und du auf der Suche nach einem Fenster warst, ist es da vertretbar/normal den Schlauch loszulassen? Dachte der wird auf keinen Fall losgelassen um im Notfall den Fluchtweg zu finden?
Grundsätzlich hast du recht. Bei diesen Umständen (enger Raum, kein weiterer Raumwechsel, erwarten des Fensters in 2m Umkreis) hielt ich es jedoch für vertretbar, die wenigen Schritte bei unter 1m Sicht“alleine“ zu unternehmen. Bei der Feststellung, dass ich mich weiter hätte entfernen oder gar den Raum hätte wechseln müssen, wäre der „Ausflug“ natürlich zu ende gewesen und der Kollege hätte zunächst nachkommen müssen.
Zudem ist es unumgänglich, auch mal beide Hände frei zu haben: Um schwere Gegenstände aus dem Weg zu räumen, eine Axt zu benutzen oder ein größeres Hindernis zu übersteigen braucht man beide Hände. Und eine Menschenrettung ist mit einer Hand fast unmöglich und würde einen unendlichen Zeitverzug bedeuten. Nicht einmal eine Bandschlinge um den Oberkörper zu legen, um die Person danach (mit einer Hand?) rauszuziehen, wäre mit einer Hand am Schlauch möglich. Von daher wird jeder Feuerwehrmann auch mal in einem begrenzten Abstand zum Kollegen den Kontakt zum Schlauch aufgeben müssen, auch, wenn er gerade nichts (oder nicht viel) sieht. Ständiger Sprechkontakt, um zu wissen, was und wo der andere etwas tut, muss dann kurzzeitig reichen. Sprechen kann retten…
Ein weiteres Entfernen oder gar ein Raumwechsel ohne Sicht verbietet sich natürlich. (Dieses Zimmer war übrigens so klein, dass es von der Tür bis zum Fenster etwa 3,5m waren).
Was natürlich überhaupt nicht passieren darf ist, dass gleich beide Kollegen den Schlauchkontakt aufgeben: Dann würden auch beide unter Umständen die Orientierung verlieren. Und dann können 2 Meter unendlich weit sein, denn der Schlauch ruft nicht …
Ich kann nur still meine Anerkennung für euch alle zum Ausdruck bringen und möchte ein von Herzen kommendes Danke dalassen.
Hab vielen Dank für alles ❤
Danke für den Einsatz – zum Beruf auch noch in der Freizeit diesen Dienst zu tun ist schon etwas. Aber natürlich auch dank an die anderen, bei dem Pendlertum heutzutage ist es bestimmt schwerer als früher, genug Freiwillige für einen Einsatz zusammen zu bekommen.
Das im ehemaligen […] die BMA sehr häufig losgeht und alles für nix ausrücken müssen habe ich auch schon gehört – ich hoffe, nach so einer Sache sind die Bewohner etwas verantwortubgsbewusster.
Ach, btw nicht eine OT-Frage: Dieses Jahr wieder im Hofstaat gewesen? 😉
Ich bin ja quasi durch die Feuerwehr großgezogen worden, da darf man eben auch später nicht vergessen, woher man kommt… 😉 Im Übrigen fahren bei uns mittlerweile auch einige „Externe“ mit, die im Städtchen arbeiten.
Und zur Frage: Ja, auch dieses Jahr wieder im Hofstaat. War schließlich klasse, da dachten wir, wir ziehen das nochmal durch… 😉