Reanimation mal anders

So, der erste Kaffee heute Morgen ist vernichtet. Und das Frühstück habe ich gegessen. Da ich als Gewohnheitstier aber immer zwei Tassen trinke, habe ich beim Genuss der nächsten Tasse des Beamten-Lebenselixiers noch etwas Zeit, euch mal von einem Einsatz von früher zu erzählen. (Boah, war ich das? „Früher“?!? – Ich werde alt…)

Man mag es nämlich nicht glauben, auch ich wurde nicht mit einem Laryngoskop im Stramplerbund geboren, sondern habe mal als ganz kleiner Pflasterkleber und „Chauffeur des Godfather of Rettungsdienst“, sprich: Einem altgedienten Rettungsassistenten durch Handauflegen, angefangen. Also, damit auch „nicht- Liegendtaxi- Fahrer“ jetzt wissen, was gemeint ist: Als das Berufsbild des Rettungsassistenten ins Leben gerufen wurde, fanden es die Verantwortlichen etwas albern, Sanitätern, die schon jahrelang mit Notärzten zusammenarbeiten, nochmal einen Lehrgang aufzuzwingen, in dem sie sowieso nichts neues mehr lernen. Darum sagte man: „Wer schon X Stunden im Rettungsdienst nachweisen kann, bekommt das als Qualifikation zum Assistenten anerkannt.“ Also quasi durch Handauflegen zum Intubator Infernale gemacht wurde. Und mit so einem Kollegen fuhr ich in jungen Jahren durch die Gegend.

Wir bekamen irgendwann die Einsatzmeldung: „Ret, Hugostraße 33, Atemnot“ -Also übersetzt: Wir wurden ohne Notarzt zu jemanden geschickt, der wohl Koordinationsschwierigkeiten bei der Kontraktion des Zwerchfelles hatte. Oder so.

Im zweiten Obergeschoss betraten wir ein Studentenwohnzimmer: Verbrauchte Regale eines schwedischen Sägewerkes, eine abgewetzte Couchgarnitur, darauf eine leblose, etwa 25jährige Blondine und davor eine verzweifelte Brünette: „Die hat plötzlich die Augen verdreht und ist umgefallen! Ganz einfach so! – Ich glaube, die hatte auch mal was am Herzen!“ Während  ich noch dekorativ in der Raummitte rumstand, fühlte mein Fachvorgesetzter kurz den Puls, um mir dann zu eröffnen: „Oh… Rea!“ (kurz für: „Reanimation“. Durch dieses Stichwort wird in der Retter-Denkmurmel ein Schalter umgelegt, und er weiß, dass er sich jetzt an einem festgelegten Schema entlangarbeiten kann.)

Während der Kollege die noch lebende Studentin anwies, abermals über Notruf die Feuerwehr anzurufen, um der Leitstelle mitzuteilen, dass wir noch einen Notarzt brauchen, zerrten wir ihre Freundin vom Sofa runter auf den Boden. Die beiden Koffer flogen auf (ja, damals hatten wir die Beatmungsklamotte noch in einem zweiten Koffer!), ich schnitt den Pullover auf und begann zu drücken, der Kollege beatmete und bereitete in den Beatmungspausen das EKG vor.  „Sagense denen, der 12-83 reanimiert!“ , wies er die kurz vor dem Zusammenbruch stehende Frau am Telefon an, was sie auch brav wiederholte. Und ich steckte in meiner ersten Reanimation ohne Notarzt!

„Erzählnse mal watt, watt hatte se am Herzen gehabt? Und wann?“ – „Kann ich Ihnen nicht genau sagen. War letztes Jahr, ich glaube, die nimmt auch so Tabletten! Vielleicht weiß die Mutter mehr, die kommt auch gleich!“ Na gut, ist im Grunde auch nur eine Information, die wir schon mal für den Notarzt einholen wollten. Vor Ort kann man selten etwas an den Ursachen eines Herzversagens machen, man kann nur sehen, dass es irgendwie wieder seinen Job macht. Der Kollege klebte die EKG- Elektroden auf und kramte das Zeug für das Legen eines Beatmungsschlauches raus. Auf dem Monitor unseres sauteuren Gerätes zeichnete sich ein Bild ab, wie man es von einem Seismographen kennt: Herzkammerflimmern! Und wenn das Herz flimmert, wird kein Blut mehr gepumpt. Höchst ungesund. Also das volle Lehrprogramm: Die Bügeleisen mit Gel eingequanzt, erster Stromschlag in die Brust. Nö, das Herz wollte noch nicht…

Während wir weiter versuchten, in der jungen Frau einen „Ersatz- Kreislauf“ durch Herzdruckmassage und Beatmung hin zu bekommen, betrat die entsetzte Mutter die Bühne: Sie sah ihre Tochter zwischen Tisch und Sofa auf dem Boden liegen, überall Kabel, eine Infusion, das Werkzeug zum Intubieren (die Sache mit dem Luftschlauch), Koffer, EKG, aufgerissene Verpackungen von Spritzen, Beatmungsbeutel, Tubus und Gedöhns, und zwei fremde Männer, die inmitten dieses Haufens ihrer Tochter auf der entblößten Brust rumhüpften. Sie brach in Tränen aus, und der Kollege bat sie, ohne seine Arbeit zu unterbrechen, doch bitte in der Küche zu warten. So sollte keine Mutter ihre Tochter sehen.

Der Notarzt kam irgendwann mit seinen Sherpas in die Wohnung, lies sich kurz über die Lage unterrichten, die Reanimation ging weiter. Atemweg sichern, Defibrillieren, Medikamente spritzen, Krankengeschichte erfragen, und ständiges Drücken auf dem Brustkorb. Irgendwann begann das Herz wieder zu schlagen. Um dann immer schneller zu werden, bis es schließlich wieder in ein Flimmern verfiel… hatten wir ja schon mal…

Doch nach einiger Zeit unserer Bemühungen gab das Herz dann nach und ließ sich dazu nötigen, wieder in einem einigermaßen brauchbaren Rhythmus das Blut durch den Körper zu pumpen. Transport mit Reklametransparent und Musik ins nächste Krankenhaus – und hoffen, dass das Gehirn nicht zwischendurch zu lange ohne Sauerstoff geblieben war. Was nutzt das Leben, wenn man davon nichts mehr mitbekommt? Beim Aufräumen des Schlachtfeldes (man mag ja gar nicht glauben, wie viel Abfall bei einer Reanimation übrig bleibt!) gingen mir natürlich auch diese Gedanken durch den Kopf. Ein großer Teil der Patienten, die wiederbelebt wurden, behalten durch den Sauerstoffmangel im Hirn einen Schaden zurück, weil in dem Moment, wo der Patient umfällt, keiner der umstehenden mit der Reanimation anfängt. Bis der Rettungsdienst eintrifft, dauert es ja auch noch einige Minuten, in denen der Mensch am Boden ohne Sauerstoff langsam matschig in der Birne wird, weil keiner etwas macht. Aber wie es im Rettungsdienst so ist, erfährt man selten, was aus den Patienten so wird. Doch dieses Mal kam es, wenn auch verzögert, anders:

Ich war über ein Jahr später frisch gebackener Rettungsassistent („mit der Lizenz zum Töten“ , wie man mir beim Überreichen der Urkunde versicherte) und hatte jetzt meinerseits einen Kofferhansel hinter mir herlaufen, als wir zur Beschallung des Stadtviertels rausgeschickt wurden: „Ret, Hanswurstweg 24, Defi löst aus“. Hat man ja auch selten. Ist auch sehr unangenehm: Da bekommt man so ein Kästchen eingepflanzt, welches das Herz, wenn es mal ein wenig unorganisiert rumalbert, freundlich aber bestimmt durch einen Stromstoß wieder vernünftig „anne Schüppe kricht“. Wenn das Herz nämlich nicht ordentlich schlägt, wird auch kein Blut gefördert. Für den Patienten ist das leider nicht besonders angenehm, aber notwendig. Das Ding ist übrigens nicht zu verwechseln mit einem Schrittmacher, der permanent einen kleinen Impuls ins Herz abgibt, um es zu stimulieren. Das spürt der Träger dann nämlich nicht.

In der besagten Wohnung wartete eine junge Frau im Bett, die mir irgendwie bekannt vorkam. „Was ist denn los?“„Ich habe seit über einem Jahr einen Defi eingesetzt, und der spinnt jetzt wohl rum…“ Man hörte ein leises Piepsen: „Oh je, jetzt geht das schon wieder los! … AUA! „ -Das war dann ja wohl der kleine Rettungskasten! „Das piepst immer vorher, dann kann man sich schon mal hinlegen… das geht jetzt schon eine ganze Weile so, alle paar Minuten bekomme ich …“ – Piiiiiiiiiiiiiiips – „AUA! Mann, das tut weh!“ Ich klärte die Frau darüber auf, dass der Defibrillator womöglich gar nicht defekt ist, sondern vielleicht bloß höchst dienstbeflissen seinen Job macht, und sie wohl stattdessen ein defektes Herz hat. „Aber, wenn ich mal was fragen darf, wurden Sie schon mal reanimiert?“ – „Joa… so vor über einem Jahr. Ich habe dann ja den Defi bekommen…“ Ich lächelte in mich hinein: „Drüben, in der Hugostraße, bei einer Freundin, nicht? Ja, dann kennen wir uns. Ich habe damals auf Ihnen herumgedrückt.“ Der junge Kollege bereitete die Trage zum Transport vor, und nachdem wir die Frau im Auto hatten, löste der Defi noch zwei Mal auf dem Weg ins Krankenhaus aus. Auf dem mittlerweile angeschlossenen EKG konnte man auch deutlich sehen: Das Herz wurde immer wieder mal „schnell“, und wenn es eine gewisse (übrigens höchst ungesunde) Frequenz erreicht hatte, brachte das kleine Implantat die Sache für ein paar Minuten wieder in Ordnung. Im Krankenhaus würde man es schon wieder richten. Dank Defi hatte sie ja die Chance!

Was an der oben beschriebenen Reanimation „mal anders“ war? Ich habe die Patientin wiedergetroffen. Und es ging ihr gut! Von dieser Reanimation zehre ich heute noch, denn sie zeigt, dass es für – zugegebenermaßen einige wenige – Menschen eine zweite Chance bedeuten kann, wenn jemand schnell genug anfängt, richtig zu handeln.

Und beim Drücken immer schön mitsingen: „Staying alive… Staying alive…“

Über firefox05c

Firefighter, Kittyowner, Bagpipeplayer. Querulant. Manchmal bissig, aber im Großen und Ganzen handzahm. Die Themen hier: Feuerwehr - Rettungsdienst - Alltag .
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17 Antworten zu Reanimation mal anders

  1. RettPrak schreibt:

    Hatte letztens auch meine erste Reanimation. Patient hat noch gekrampft als wir den Unfallort erreicht haben. Hab zudem heute erfahren, dass der Patient noch am Leben ist. Das motiviert ungemein.

  2. Chirurgenwelpe schreibt:

    Oh, das ist eine schöne Geschichte! Da kann man dann mal dran denken, wenn man sich draußen fragt, was zum … man da eigentlich gerade wieder fabriziert.
    Ich nehm übrigens auch immer Staying Alive! 🙂

  3. almandor schreibt:

    Danke für den schönen Beitrag. Zeigt mir immer wieder das ich nicht umsonst den Ersthelferkursus gemacht habe. Immerhin weiss man so was zu tun ist wenn mal ein Kollege umfallen sollte.

    Auch wenn der Ausbilder meinte das die Chance trotz sofortiger Hilfe bei einem Herzinfakt durchzukommen alles andere als gut sind. (Sagte er aber erst nachdem ich ihn ein wenig unter Druck gesetzt hatte mit der Frage wie gut es dem Herzen tut wie ein Kotelett bearbeitet zu werden.) Aber alles ist besser als nichts zu tun.

  4. blaulichtengel schreibt:

    Super Beitrag, ich lese einfach gerne bei dir! Sowas bleibt einem natürlich lange im Gedächtnis, wenn man im Rettungsdienst wirklich mal einen großen Erfolg sieht und nicht nur erfolglos auf alten Omis drauf rum drückt oder mal wieder Pflasterlaster spielt!

    Bin jetzt schon gespannt, was wir alles in deinem Buch lesen dürfen! 😉

  5. theephotography schreibt:

    Du schreibst mir aus dem Herzen was die Frage angeht: wie lange war das Hirn ohne Sauerstoff ??? Und genau, was nützt es dir oder den Angehörigen wenn du nacher als Pflegefall vor dich hin vegetierst, nicht ansprechbar, mit PEG Sonde und Pampers an ? Aber eben, kann ja so rauskommen wie in deinem Fall. Toll geschrieben, authentisch, super

    • firefox05c schreibt:

      Manchmal hat man ja Glück, dass das Herz seine Funktion nicht sofort vollständig einstellt hat und noch so ein Minimalkreislauf übrig bleibt. Dann hat man schon mal ein paar Minuten Reserve.

  6. Stephan schreibt:

    Super Beitrag! Ich hoffe mein Herz macht trotz Kaffekonsum und Nikotingenusssss noch lange weiter! Dafür treibe ich mich auch oft an der frischen Luft auf dem Golfplatz rum ( http://www.wallgang.de ) 😉

  7. Katha schreibt:

    Du schreibst wirklich mitreißend und packend. Ich hätte fast nicht weitergelesen, als ich Rea bei einer 25-jährigen gelesen hab, aber es hatte ja doch ein gutes Ende 🙂

    So ein richtig schönes happy end (naja fast, leider hat sie ja diese blöden Probleme) tut auch mal gut 🙂 Und ich hab ein wunderbares Beispiel, wieso man auf jeden Fall was tun sollte, wenn jemand zusammenbricht und nicht in hysterische Panik ausbrechen muss.

  8. Wieder einmal: Einfach genial geschrieben.

  9. Schön, dass es auch noch solche Beispiele gibt. Ist aber wirklich sehr selten, dass man sie später nochmal trifft und es ihnen auch so gut geht.
    Und wie immer ein sehr lustig geschriebener Beitrag. Da bin ich ja dann echt mal aufs Buch gespannt 😉

    Mist, und jetzt hab ich wieder nen Ohrwurm.
    … Ha ha ha ha stayin‘ alive, stayin‘ alive
    ha ha ha ha stayin‘ aliiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiive …..

    • firefox05c schreibt:

      „Highway to hell“ geht auch (Frequenz: 118). Ist aber wohl nicht so passend, wenn Oma in der Küche hört, wie die Kollegen, die im Wohnzimmer an Opa arbeiten, dieses Lied summen…

  10. ToWi schreibt:

    Vor vielen Jahren hab ich mal eine Doku im Fernsehen gesehen, wo auch ein FW’ler von so einem Wiedesehen berichtet hat. Das war eine ältere Dame und die Begrüßung war herzlich und direkt: „Du Arsch hast mir die Rippen gebrochen! [Kunstpause] Aber dafür bin ich dir unendlich dankbar!“ 🙂
    Er sagte auch, das er davon nach vielen Jahren immer noch zehrt.

  11. FW_SH schreibt:

    Mal wieder nen sehr schöner Beitrag von dir. Wusste gar nicht, dass man auch Defis eingepflanzt bekommen kann, aber gut zu wissen.

    Ist doch auch mal schön, wenn man Leute rettet und sie später wieder trifft und es denen mehr (oder auch weniger) gut geht 🙂

    • firefox05c schreibt:

      Diese Frau hatte eigentlich wieder ein ganz normales Leben, sie hatte von der Rea nichts zurückbehalten. Bis nach etwa 1,5 Jahren das Herz nochmal rumspann. Aber dank eingebautem Defi ist sie eben nicht „tot umgefallen“, sondern ihr konnte (dieses mal weit weniger dramatisch) im Krankenhaus geholfen werden. 🙂

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