Kurzfristig verhindert

Wir hatten Dienst auf dem Rettungswagen. Der Piepser bimmelte: „HP Tür, Markusstraße 15, bei Kurze“. Für Nicht- Retter: Jemand hatte gemeldet, dass Herrn oder Frau Kurze in ihrer Wohnung etwas passiert sei und sie oder er nicht selbst öffnen könne. Die Auslöser für dieses Stichwort sind verschiedenartig, von Hilferufen nach einem Sturz über überquellende Briefkästen bis zu Madenwanderungen unter der Wohnungstür hindurch. Naja, da möchte ich jetzt nicht näher drauf eingehen, euer Kopfkino läuft wahrscheinlich schon.Wir besetzten also unseren roten Dienstwagen. Ein Löschfahrzeug, um die Tür zu knacken, stand schon vor der Haustür des Hochhauses und die Kollegen in Blau waren mit dem Werkzeug schon drinnen verschwunden, als wir zeitgleich mit dem Notarzt an der Adresse eintrafen. Ich möchte jetzt nicht behaupten, dass er schwanger war, aber dieser hatte – sagen wir mal – eine ansehnliche Statur, sowohl horizontal als auch vertikal.

„Die Wohnung soll sich im achten Stock befinden. Da wird ja wohl ein Fahrstuhl vorhanden sein“, meinte mein Kollege. Wir schnappten also den Notfallkoffer, Defi, Beatmungsrucksack und Absaugung, betraten das Haus und wandten uns dem Fahrstuhl zu. Nach dem Knopfdruck erschien das kleine Blechzimmer von etwa zwei Quadratmetern auch recht schnell im Schacht. Zwei Rettungsassistenten, ein Sanitäter und ein gewaltiger Notarzt betraten also mitsamt Equipment die enge Dose, wir rückten alle zusammen. Ich stand jetzt Nase an Nase vor meinem Kollegen, zwischen meinen Beinen drückte der Notfallkoffer und von links der Bauch des Gelehrten, der durch seine Größe grinsend auf mich herab sah.

Der Fahrstuhl ruckte an und fuhr hoch. Und zwar genau bis zwischen den siebten und achten Stock.

Dann blieb er plötzlich stehen.

„Watt nu?“, entfuhr es dem Arzt. „Na, wir sind wohl stecken geblieben“, analysierte ich messerscharf die nur mit größter Aufmerksamkeit und viel Erfahrung festzustellenden kleinen Hinweise. Wir warteten ein paar Sekunden. Vielleicht fährt er ja gleich wieder an? Der Fahrer des Notarztes drückte mehrfach verschiedene Knöpfe. Nichts. Wir schauten uns gegenseitig etwas erstaunt an. Wie oft hatten wir schon Menschen aus einem Fahrstuhl befreit. Und jetzt steckten wir selbst fest…

Vom nächsten Stockwerk hörten wir schon die Freunde vom Löschfahrzeug, wie sie das Türschloss der Wohnung aufbohrten. Hoffentlich war dem Bewohner nichts ernstes passiert, so dass nach dem Tür öffnen nicht dringend ärztliche Hilfe gebraucht würde! Ich nahm das Handfunkgerät, welches ich oft mitnehme, wenn wir mit anderen Einheiten zusammenarbeiten. „Wachführer von RTW. Hörst du mich?“ Einen Moment lang war Stille im Blechkasten, in dem wir standen wie die Sardinen. Der imposante Notarzt schaute mich von oben herab an. Na, hoffentlich bekam der jetzt keinen Hunger. Ich hatte wahrscheinlich das Format seines Frühstücks…

„Ich höre dich“, quäkte das Funkgerät. „Wir sind im Achten. Knacken gerade die Tür.“ – „Äh… ja. Wir können euch auch hören. Durch den Fahrstuhlschacht. Du wirst lachen: Wir stecken fest.“ – „Was? Wie jetzt?“ Ich seufzte. „Ja, richtig gehört. Wir stecken fest. Etwa zwei Meter vor dem Ziel. Mit Arzt und Ausrüstung. Könnt ihr uns mal hier rausholen, falls ihr gerade Zeit habt, oder sollen wir die Feuerwehr anrufen?“ Einen Moment lang war wieder Stille. „Die gucken jetzt bestimmt erst mal ins Treppenhaus, ob wir sie nicht verarschen“, unkte mein Sani. Das Funkgerät meldete sich wieder: „Okay, wenn wir die Tür geknackt haben, kümmern wir uns um euch.“ Einen Moment später konnten wir vom achten Stock hören, dass die Wohnungstür aufgestoßen wurde, eine halbe Minute danach meldete sich der Wachführer erneut: „Die Wohnung ist leer. Wartet, wir holen das Aufzugwerkzeug. Nicht weglaufen.“ Klasse. Jetzt wurden wir auch noch veralbert. Aber wer den Schaden hat…

Es dauerte eine halbe Ewigkeit. Bis die Kameraden des Löschfahrzeuges im 8. ihr Werkzeug eingepackt hatten, die Treppen hinunter zum Auto gelaufen, den Kasten mit dem Aufzugswerkzeug geholt und wieder oben waren, wurde die überfüllte Aufzugkabine immer stickiger.  Etwa 450kg Männerfleisch haben in so einer Schachtel eben eine nicht zu vernachlässigende Heizleistung. Nachdem die Kollegen in blau mit einem passenden Schlüssel die äußere Tür des Fahrstuhlschachtes geöffnet hatten, konnten sie sehen, dass die Kabine schon halb im achten Stock stand. „Ihr seid ja schon fast oben! Das Stückchen hättet ihr auch noch fahren können“, feixten sie. Jetzt öffneten sie auch die Kabinentür. „Tach, Kollegen. Hattet ihr kein Bock, euch zu beteiligen?“, wurden wir begrüßt. „Komm, gib es zu“, mopperte ich dagegen. „Ihr habt doch an der Elektrik rumgespielt, weil ihr uns nicht dabei haben wolltet.“

Wir reichten unsere Ausrüstung heraus und kletterten nach und nach aus der Kabine. Hinter uns wurde die Tür wieder verriegelt. Da niemand in der Wohnung war, zu der wir gerufen wurden, konnten wir uns auch direkt wieder verabschieden. „Toll. Einmal in den achten und zu Fuß wieder runter. Hätten wir uns auch sparen können“, ärgerte sich der Arzt. „Dir tut es doch ganz gut“, stichelte ich in Hinblick auf seine Figur. Klar: Jetzt, da wir aus dem engen Zimmer ohne Fluchtmöglichkeit wieder heraus waren, konnte ich wieder große Klappe haben…

Über firefox05c

Firefighter, Kittyowner, Bagpipeplayer. Querulant. Manchmal bissig, aber im Großen und Ganzen handzahm. Die Themen hier: Feuerwehr - Rettungsdienst - Alltag .
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16 Antworten zu Kurzfristig verhindert

  1. Anna schreibt:

    Einfach genial, ich hab beim Lesen Tränen gelacht 😀
    Dir gelingt es auch bei den ernstesten Themen, einen zum Schmunzeln bis Lachen zu bringen.
    Wenn du noch ein Buch schreibst – was ich sehr hoffe, das erste hab ich schon gelesen 😉 – kannst du dann solche Kurzgeschichten reinbringen?

    • firefox05c schreibt:

      Zum Ersten weiß ich weder, ob der Verlag, noch ob ich einen zweiten Teil möchte. Immerhin müssen auch erst entsprechend viele Geschichten passieren, da ich mir auch nicht einfach etwas ausdenken möchte. Zum Zweiten ist so ein Buch doch eine Menge Arbeit (ich habe mir die Rückenmuskulatur dabei abtrainiert…), und da ich kein „Schreibtischtäter“ bin, fiel es mir auch sehr schwer. Es bleibt also abzuwarten. 😉

  2. Antara schreibt:

    Jaja wer den Schaden hat, spottet jeder Beschreibung;-)
    Und was lernen wir darais?
    Man sollte Fahrstühle nicht überlasten…

  3. VS-Geheim-amtlich geheimgehalten-,vorher: der am computer sitzt schreibt:

    Nachfrage: Hat der Doc durch die wärmetechnische Energieabgabe Körpereigengewicht reduziert?

  4. VS-Geheim-amtlich geheimgehalten-,vorher: der am computer sitzt schreibt:

    Wieder einmal: Einfach köstlich!!! Freue mich wahnsinnig über jede neue Geschichte und warte immer sehnsüchtig darauf. (Bin ich jetzt firefox05c-geil? 😉 )

    • firefox05c schreibt:

      Das will ich hoffen. Denn das Blog wird ab jetzt hoffentlich wieder etwas öfter bestückt: Mein Buchmanuskript ist jetzt nämlich fertig -> wieder mehr Zeit!

  5. red_cap schreibt:

    „HP Tür“ mir Doktor? Ist das immer so?

    • firefox05c schreibt:

      Nein, das wurde vor einiger Zeit geändert, da die Einsatzbelastung zu hoch wurde. Jetzt gibt es den Doktor nur noch auf Nachforderung der RTW- Besatzung.

      • Oder wenn wirklich klar ist, dass es eine HP hinter der Tür gibt und diese tatsächlich einen Arzt benötigt.

      • firefox05c schreibt:

        Grundsätzlich wird zunächst nur ein RTW mitgeschickt. Es hatte sich nämlich bei der Auswertung der Einsätze gezeigt, dass in den weitaus meisten Fällen kein Arzt gebraucht wurde.

      • Statistisch gibts doch eigentlich nur 4 häufige Fälle: 1. Wohnung leer, 2. Person seit längerem tot, 3. Allein lebende/r Senior/in gestürzt und muss ins Bett gehoben werden oder maximal mit „schlechtem AZ“ und Sturzverletzung in die Klinik, 4. Person macht nicht auf, weil sie schläft/laut Musik hört/betrunken ist. Insoweit auch bei uns nie mit NA, das wäre ja völlig verrückt und die Ärzte würden uns ins Genick springen, wenn sie da jedesmal sinnlos anrücken müssten. Ganz unabhängig von der sonstigen NA-Auslastung.

      • firefox05c schreibt:

        a) Bei den statistisch häufigsten Gründen hast du recht. Aber was das „ins Genick springen“ angeht:
        b) Die Ärzte werden dafür bezahlt, sollen also still ihre Arbeit tun, egal, wofür sie von der Feuerwehr gebraucht werden. Dafür dürfen sie im Gegenzug ja auch nicht „unabkömmlich“ im Krankenhaus eingesetzt werden und genießen (zumindest bei uns) Privilegien wie Abendessen auf der Feuerwache, nachmittags nach Hause zum Kaffee fahren (wenn sie im Ausrückebereich wohnen), die Möglichkeit für Einkäufe usw.
        Bei „Börsenärzten“ der Notarztbörse ist das sogar ziemlich extrem: Sie haben in dem anmietenden Krankenhaus meist gar keine weiteren Aufgaben als Notarzteinsätze zu fahren. Frag mal, was die für eine Schicht NA- Dienst bekommen: Etwa 2/3 von dem, was ich im ganzen Monat verdiene (bei uns angeblich etwa 1200€/Schicht). Ich finde, dafür sollten/ können sie auch alles fahren, wo unsere Leitstelle meint, einen Arzt zu brauchen.

  6. Daniel Eschenlohr schreibt:

    ich kugle mich gerade vor lachen…

  7. Das ist mir im Krankenhaus mit Patient mal passiert. Zum Glück ging es ihm gut und die von der BF fanden es auch ziemlich witzig 😉

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